Die Fahrzeugindustrie hat die Elektrifizierung ihrer Produkte fest im Blick. Die jeweilige Nutzfahrzeugflotte kommt ohne „e“ kaum mehr aus. Das Thema Material- und Lieferschwierigkeiten bleibt dabei auch noch eine Zeitlang erhalten, obwohl sich Entspannung abzeichnet.
Text: Erika Hofbauer
Wir orten eine deutlich steigende Nachfrage von elektrifizierten Nutzfahrzeugen für den urbanen Bereich. Hier sind es vor allem Botendienste und Kleingewerbebetriebe, die für Zuwächse sorgen“, freut sich Harald Lacen, Business Manager Fleet Austria Astara (Nissan). Denn: „Sie müssen keine Langstreckenfahrten auf sich nehmen und suchen daher nach cleveren, kompakten Lösungen. Hier kommt unser neuer Nissan Townstar EV gerade zur rechten Zeit.“ Wie sieht Lacen die aktuelle Entwicklung in Sachen Liefer/Produktionsengpässe bzw. Kostensteigerungen? „Die problematische Konstellation des vergangenen Jahres beginnt sich schrittweise zu entspannen. Wir gehen davon aus, dass sich die Liefersituation im vierten Quartal des heurigen Jahres, spätestens aber im ersten Quartal 2024 wieder vollständig normalisieren wird.“
Lieferzeiten bessern sich
Gerhard Kisslinger, Marketingleiter Volkswagen Nutzfahrzeuge, sieht die Branche im Umbruch: „Wir befinden uns mitten in einer Transformation, die im ersten Schritt insbesondere in Ballungsräumen wirksam wird.“ Produkttechnisch reagiere man daher entsprechend, so Kisslinger: „Mit dem vollelektrischen ID. Buzz starten wir zur richtigen Zeit im Bereich der e-Mobilität. In Zukunft wird das Angebot laufend wachsen.“ Neben dem e-Crafter, einem reinen „Stromer“, biete man auch den Multivan als PHEV an. Bezüglich Lieferprozesse und Kostenentwicklungen setze man bei VW alles daran, die Kunden dennoch zufriedenzustellen: „Wir sind dabei, den Auftragsbestand abzubauen. Mittlerweile sind die Lieferzeiten schon wieder besser. Aber die Liefersituation wird uns wahrscheinlich noch das ganze Jahr begleiten, was die gesamte Branche betrifft“, so Kisslinger weiter. Die Herausforderung bestehe darin, dass sich die Situation laufend ändern könne: „Das bedeutet aber auch, dass es manchmal schneller geht als gedacht.“
Emissionsfreies Fahren
Martin Labaye, Generaldirektor von Renault Österreich, bemerkt ebenfalls einen deutlich anhaltenden Trend: „Viele Unternehmen sind bei Nutzfahrzeuge bereits auf elektrisch-angetriebene Modelle umgestiegen und haben sich damit für emissionsfreies Fahren entschieden.“ Ein deutlicher Fokus liege hier speziell auf den kompakten Fahrzeugen wie dem Renault Kangoo. Ein wesentlicher Vorteil für diese Fahrzeuge sei, dass sie das Optimum an Ladevolumen im Verhältnis zur Fahrzeuglänge herausholen, erläutert Labaye: „Das ist ein wichtiges Argument für Lieferdienste und Handwerker, die im urbanen Bereich ihre Tätigkeiten durchführen.“ Der Kangoo Van E-Tech Electric setzt daher mit neuen Ausstattungselementen auf diesen Trend: Die 1,45 Meter breite seitliche Ladeöffnung „OPEN SESAME by Renault“ ohne B-Säule oder die Innengalerie „Easy Inside Rack“, die es ermöglicht, lange Gegenstände im Fahrzeuginneren zu transportieren, sodass der Laderaumboden für zusätzliche Fracht frei bleibt, erleichtern die täglichen Arbeiten. Aber, so der der Renault-Generaldirektor, nicht nur die kleinen Transporter seien bei den Kunden beliebt, auch die größeren Varianten wie der Renault Trafic würden immer stärker mit alternativen Antrieben nachgefragt: „Wir bieten schon heute ein umfassendes Angebot an 100% elektrisch betriebenen LCVs an.“ Für Labaye befindet sich die Nutzfahrzeugbranche ebenfalls im Transformationsprozess und stehe weiterhin enormen Herausforderungen gegenüber: „Dazu kommen noch negative Treiber wie Inflation, steigende Energiekosten oder Transportengpässe, um nur ein paar zu nennen. Nichtsdestotrotz sehen wir für heuer ein positives Wachstum im Bereich leichter Nutzfahrzeuge.“
Infrastruktur ausbauen
Eine ähnliche Entwicklung auch bei Ford. Christian Wotypka, Pressechef Ford Austria: „Ab 2024 wird bei Ford in jeder Baureihe der Nutzfahrzeugflotte emissionsfreies Fahren möglich sein, mit vollelektrischem Antrieb oder als Plug-in-Hybrid. Ab 2030 sollen dann zwei Drittel der verkauften Ford-Nutzfahrzeuge batterieelektrisch oder Plug-in-Hybride sein.“ Für Flottenkunden biete Ford schon jetzt eine umfangreiche Auswahl an elektrifizierten Modellen an, wie beispielsweise den E-Transit und dieses Jahr auch noch den E-Transit Custom sowie den Transit Courier. „Wir haben also Fahrzeuge für sämtliche Bedürfnisse, daher ist es umso wichtiger, dass weiterhin an der Infrastruktur gearbeitet wird, um den Wechsel problemlos vollziehen zu können.“ Wie sieht es bei Ford in der Frage Liefer/Produktionsengpässe und Kostensteigerungen aus? „Wir haben es mit denselben Herausforderungen zu tun wie alle anderen, und an dieser Situation wird sich unserer Einschätzung nach auch in den nächsten 12 bis 18 Monaten nicht viel ändern“, so Wotypka: „Wir haben unser Bestellsystem für gewisse Modelle eingeschränkt bzw. ganz bewusst geschlossen. Jene Fahrzeuge, die wir produzieren können, werden gleichmäßig an die Händler verteilt.“
Elektrifizierung wird fortgesetzt
Auch im Stellantis-Konzern (Opel, Fiat, Citroen, Peugeot) laufen ähnliche Entwicklungen. Fiat hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2024 jede Modellreihe in Europa auch mit vollelektrischem Antrieb und ab 2027 eine vollelektrische PKW Modellpalette anzubieten. Und bei Opel ist heute schon das komplette Nutzfahrzeugtrio elektrisch.
Modell-Neuheiten
Astara (Nissan):
Das Highlight des Modelljahres 2023 im Bereich der leichten Nutzfahrzeuge ist der Nissan Townstar EV: Der kompakte, aber geräumige und flexible Transporter soll die Erfolgsgeschichte des e-NV200 fortschreiben, heißt es. Der Nissan Townstar EV kombiniert Fahrleistungen und hohe Transportkapazität mit einem weiterentwickelten Antrieb. Dank eines 45 kWh großen Akkus bietet er im städtischen Bereich eine Reichweite von über 450 Kilometern. Auch das Laden selbst wurde deutlich beschleunigt: Mit einer Ladeleistung von 80 kW per CCS-Schnellladung steigt der Füllstand der Batterien in nur 37 Minuten von 15 auf 80%.
Volkswagen:
Die wichtigsten Neuheiten bei Volkswagen Nutzfahrzeuge sind heuer der ID. Buzz und der im Herbst auf den Markt kommende neue Amarok. Die Buzz-Modelle sollen praxisorientierte E-Mobilität für alle bieten, die mehr Raum zum Leben und zum Arbeiten brauchen. Die Fahrzeuge sind lokal emissionsfrei, vernetzt, digitalisiert, können per Over-the-Air Updates stets aktualisiert werden und sollen dank elektrischem Antrieb extrem wirtschaftlich sein. Das „automobile Werkzeug“ Amarok wurde als Multitool für Profis konzipiert: Mit einer Zuladungsmöglichkeit bis zu 1,19 Tonnen, einer 3,5 Tonnen Anhängelast und einer durchdachten Cargobox soll diese zweite Generation in Job und Freizeit alle erdenklichen Aufgaben erfüllen.
Renault:
Neben dem erst kürzlich eingeführten Kangoo Van E-Tech Electric gibt es bald zwei weitere Nutzfahrzeuge mit alternativen Antrieben. In Kürze wird der neue Renault Trafic als vollelektrische Version mit einer Reichweite von fast 300 Kilometern in Österreich erhältlich sein. Der neue Trafic E-Tech Electric bietet neben seiner Ladekapazität eine umfangreiche Variantenvielfalt, Komfort und weitere Details im Innenraum. Als zweites Modell kommt der neue Renault Master H2-Tech mit Brennstoffzellenantrieb. Der Transporter ist das erste von drei leichten Nutzfahrzeugen, die mit Wasserstoff betrieben werden. Der Master H2-Tech wird zusätzlich zu einer 52-kWh-Batterie über eine 30-kW-Brennstoffstelle verfügen und produziert im Betrieb somit keine CO2-Emissionen. Die Reichweite wird bei rund 500 Kilometern liegen. Wasserstoffbetriebene Nutzfahrzeuge bieten höhere Reichweiten, das macht sie vor allem für Flotten interessant, die größere Distanzen zurücklegen müssen.
Ford:
Ford hat sich für 2023 im Nutzfahrzeug-Segment viel vorgenommen. Nachdem 2022 schon der E-Transit am Markt eingeführt wurde, soll im 3. Quartal 2023 der E-Transit Custom mit einer Reichweite von 380 km WLTP kommen. Zudem erscheinen laufend Varianten der neuesten Ranger-Generation, Ende 2022 der Raptor, jetzt folgen XLT, Limited, Wildtrak. Im 4. Quartal folgt dann die neueste Generation des Transit Courier, als kompaktester Kastenwagen der Transit-Modellreihe soll er durch seine für den Stadtverkehr idealen Abmessungen und viel Laderaum überzeugen.
Opel:
Combo-e, Vivaro-e und Movano-e treiben als batterie-elektrische Modelle für Gewerbetreibende die „Greenovation“ im Fuhrpark voran. Diese Nutzfahrzeuge sind lokal emissionsfrei und somit künftig auch für den Lieferverkehr auf der so genannten „letzten Meile“ in der Innenstadt geeignet. Die Lage der Batterien im Unterboden sorgt außerdem dafür, dass die Fahrzeuge einen tieferen Schwerpunkt haben und dadurch noch sicherer auf der Straße liegen. Und zum anderen geht so kein Stauraum im für den Arbeitseinsatz wichtigen Ladeabteil verloren.
Fiat:
Beim Doblò und E-Doblò – in der Transporter-Version für Anforderungen gewerblicher Anwender gedacht – gibt es ebenfalls Neuheiten. So bietet der neue Doblò die Flexibilität von zwei verschiedenen Längen und den Konfigurationen Kastenwagen und Doppelkabine sowie eine breite Palette von Motoren. Mit Schalldämmung und einer Federung, die Stöße und Vibrationen reduziert, soll stressfreies Arbeiten möglich sein. Das Feature „Magic Cargo“ ermöglicht eine Vergrößerung des Ladevolumens um 0,5 Kubikmeter und der Ladelänge auf bis zu drei Meter für Gegenstände wie Rohre oder Leitern. Um noch mehr Platz zu schaffen, kann der Sitz auf der Beifahrerseite hochgeklappt und das darunter liegende Fach für Kisten oder zerbrechliche Gegenstände genutzt werden. Außerdem gibt es einen drehbaren Ablagetisch, der die Doblò-Kabine bei Bedarf in ein mobiles Büro verwandelt.