TEXT Christian Wolfsberg
BERLIN, 24. September 2003, 20:45 Uhr. Nach einem etwas wilden Flug und einem recht steilen Anflug mitten in dichtest besiedeltes Gebiet bin ich nun in Tegel gelandet. Es ist herbstlich, kühl und feucht. Den Schnupfen habe ich schon mitgebracht, sonst bekäme ich ihn spätestens jetzt. Das Hotel passt zur düsteren Atmosphäre: Ku‘ Damm 101; ein Designerhotel mit karg eingerichteten Zimmern, genopptem Industrieboden, alles nur in Schwarz-Weiß gehalten – ein Feeling wie auf der Psychiatrie und ich weiß wovon ich spreche, meine Frau ist Psychiaterin! Morgen ist der zweite Tag der CMS. Für mich ist es die erste Reinigungsmesse. Für ReinigungAkuell die Geburtsstunde.
DIE VERGANGENHEIT
2003 hatte sich die Reinigungsbranche noch nicht sehr weit aus ihrer Ursprungsrolle des Putzpersonal-Bereitstellers entfernt. Der Spaghetti-Mop spritzte noch am Gang und der Blechkübel machte sich nahezu überall lautstark bemerkbar. Die Benzinrechnungen der Mitarbeiter wurden Montag morgens in Schuhschachteln gesammelt, für Firmeninhaber war es oft noch Brauch, die Auftragsumfänge vor Angebotsabgabe einfach zu schätzen. Und viele öffentliche Aufträge – in Wien vielleicht sogar die meisten – wurden noch in den Räumen der Innungen unter den Jüngern verteilt. Das ist vielleicht etwas überspitzt und bösartig formuliert, aber in der Zeit vor und zur Gründung von ReinigungAktuell um die Jahrtausendwende war es oft noch so. Wirkliche durchschlagende Innovationen gab es eher selten; der Staubsauger war schon erfunden und die nächste bleibende von allen angenommene Innovation – nach Eintagsfliegen wie etwa der Nano-Technologie oder der chemiefreien Reinigung – war kurz danach lediglich das Microfasertuch. Durch das erste Bundesvergabegesetz 1993, den EU Beitritt 1995 und der Gründung der BBG 2001 wurde die öffentliche Auftragsvergabe regelmentiert, wodurch nicht nur die Vergabe, sondern vor allem die Angebotslegung objektiviert und professionalisiert wurden. Eine Folge daraus war aber, dass der juristische Aufwand in die Höhe schnellte, was sich freilich nur größere Unternehmen mit Juristen oder entsprechender externen Vertretung leisten konnten. Bei den Dienstleistern war dadurch eine beginnende Konzentration und auch eine weitere Internationalisierung die Folge. Wer kann sich heute noch an Zehnacker (nun Sodexo) erinnern? Oder an Heimlich (später von Hectas übernommen und seit heuer Vebego), oder etwa an den Verkauf der Gebäudereinigung Fach an DIW (jetzt Strabag PFS) oder an Firmen wie Putzteufel, Bromberger, AGS, ReifRein und einige andere. Letztlich wirklich bezeichnend für die Branche sind weniger die doch vielen Übernahmen, sondern die Tatsache, dass meines Wissens kein Unternehmen der Top 50 in den letzten 20 Jahren mangels Erfolg schlicht eingegangen ist.
DIE ZUKUNFT
Da beim Schreiben dieser Zeilen noch keine Statements von anderen Branchenvertretern auflagen, ist meine Antwort auf unsere Frage „Welche EINE Entwicklung wird die Branche in den nächsten Jahren am stärksten prägen?“ unbeeinflusst und kein kein Cuvée aus anderen Wortspenden. Aber, wer weiß, vielleicht decken sich ohnehin alle Meinungen?
Daher lautet meine Antwort: Der Engpass beim Personal wird der prägende Faktor der nächsten Jahre bleiben. Für manche Maßnahmen ist es zu spät – die Geburtenrate ist nicht rückwirkend änderbar – und für andere fehlt derzeit der gesellschaftliche und politische Wille: ein sinnvoller kontrollierter Zuzug, eine längere Lebensarbeitszeit und eine weniger attraktive Arbeitslosigkeitsentlohnung. Zum Unterschied von anderen prägenden Faktoren, wie etwa der Digitalisierung oder AI, ist die Personalsituation von der Branche bzw. der Privatwirtschaft leider kaum beeinflussbar und nur durch die Politik steuerbar. Der Engpass beim Personal wird daher ein Problem bleiben, aber es ist auch eine Chance. Es ist die Chance, das vorhandene Personal wesentlich effizienter zu nutzen und es gezielt an das Unternehmen zu binden. Freilich wird die professionelle Reinigung auch weiterhin ein Handwerk bleiben, das weitestgehend von Menschen ausführt wird. Aber wir werden ja sehen, welche Rolle die Tagreinigung und die weitere Technisierung, möglicherweise auch Robotisierung hier spielen werden und auch können – im Übrigen beides Programmpunkte am ReinigungsTag am 17. Oktober! Der Engpass beim Personal wird daher zur Herausforderung nicht nur für die Dienstleister, sondern auch für Industrie und Handel, die entsprechende Technologie und die notwendige Effizienz – Digitalisierung, soft Facts etc. zur Verfügung zu stellen – Mechanisierung und Methodisierung eben. Da sich diese Branche wie kaum eine andere durch den Preis definiert und oft ausschließlich durch den Preis differenziert, wird der auch weiterhin zunehmende Wettbewerb große Organisationen bevorzugen und zu noch mehr Konzentration führen – bei den Dienstleistern, bei den Herstellern und beim Handel.
Die letzten 20 Jahre haben aber eines ganz deutlich gezeigt: Der Branche wird es weiterhin mit Sicherheit gut, wenn nicht sogar sehr gut gehen. Denn diese Branche ist erwiesenermaßen krisenresistent, und, wie die Pandemie eindrucksvoll allen vor Augen geführt hat: die Reinigungsbranche ist und wird bleiben: eine systemrelevante Basis-Dienstleistung.
BERLIN, 19. September 2023, 08:15 Uhr. Ich werde nun nicht mehr in Tegel, sondern am Flughafen Berlin Brandenburg landen und die erste CMS nach Covid19 besuchen. Ich werde aber in keinem Designerhotel wohnen, sondern im gemütlichen bürgerlichen Ackselhaus beim Prenzlauer Berg, und auf der CMS werde ich viele bekannte Gesichter sehen und nett über die Branche und deren gesicherte Zukunft plaudern. Vielleicht scheint 2023 sogar die Sonne!