Immer mehr Branchen – von der Pharmaindustrie bis zur Lebensmittelproduktion – beschäftigen sich mit dem Thema Reinraumreinigung. Im Vergleich zu „herkömmlichen“ Reinigungsabläufen werden weit strengere Standards angelegt. Outsourcing ist daher ein sehr schwieriger Prozess, Aus- und Weiterbildung unabdingbar. Reinigung aktuell sprach mit Simon Fiala, dem Ausbildungsleiter der COMPREI Reinraum-Handel und Schulungs GesmbH, über die speziellen Herausforderungen.
Text: Erika Hofbauer
Reinigung aktuell: Reinraumreinigung ist wohl ein sehr zugespitztes Tätigkeitsfeld. Wie muss man sich das vorstellen?
Simon Fiala: Reinraumtechnik oder Reinheitstechnik kann man sich als Querschnittstechnologie vorstellen. Verschiedenste Fachbereiche und Kompetenzfelder überschneiden sich, wenn es darum geht, die jeweils erforderliche Reinheit in der Herstellung zu erreichen. Abhängig von den Anforderungen, die das Produkt an diese Umgebung stellt, unterscheiden sich diese teilweise auch massiv – siehe ISO14644, ISO14698, GMP-Leitfaden etc.
Reinigung aktuell: Wer benötigt aller solche Dienstleistungen?
Fiala: In ähnlicher Vielfalt sind Reinheits- und Reinraumanforderungen – natürlich auf sehr unterschiedlichem Niveau – in äußerst vielfältigen Branchen zu finden. Von den klassischen Industrien wie Pharma und Halbleiter bis hin zur Medizintechnik beschäftigen sich immer mehr Branchen mit den Anforderungen an die Reinheit der Umgebung, die neuartige Produkte oder Anwendungsmöglichkeiten mit sich bringen. Weitere betroffene Branchen sind zum Beispiel Sensorfertigung, die Automotive- sowie Lebensmittel- und Kosmetikindustrie, aber auch Luft-/Raumfahrt und Optik. Produktion im Reinraum ist für einige dieser Unternehmen ein völlig neues Terrain, weshalb fundierte Beratung hier eine große Rolle spielt – als erstes schon das Augenmaß bei der individuellen Planung der Reinräume als auch später kompetenter Support für einen bedarfsorientierten funktionierenden Betrieb derselben.
Reinigung aktuell: Können „reguläre“ Facility/Reinigungs-Betriebe diese Leistung auch anbieten bzw. was braucht man da alles dazu – Personal, Know-how, Technik…?
Fiala: „Reinraum“ ist eine komplett eigene Welt für sich, wenngleich eine äußerst spannende. Die Anforderungen an eine Reinraum-Umgebung sind für die meisten von uns schwer vorstellbar. Allein am Beispiel Reinigung: Eine Oberfläche, die man in der „normalen“ Umgebung nicht reinigen würde, weil sie ohnehin als sauber wahrgenommen wird, muss im Reinraum nach einem definierten und reproduzierbaren Ablauf gereinigt bzw. desinfiziert oder dekontaminiert werden. Wo man im „normalen“ Umfeld das Ergebnis der Reinigung vorrangig visuell beurteilen würde, ist dies in Reinräumen bei weitem noch kein geeignetes Kriterium. Und genau hier liegt die Krux: Würden Sie einer blinden Person einfach so zutrauen, Ihr komplettes Badezimmer und WC zuverlässig zu reinigen? Ohne irgendetwas zu sehen? Vor einer ähnlichen Herausforderung stehen täglich Reinigungsmitarbeiter in Reinräumen. Sie sind „blind“ für die meisten relevanten Kontaminationen.
Reinigung aktuell: Worin liegt genau die Problematik?
Fiala: Vielfach ist dieses Szenario verbunden mit der Tatsache, dass ein schadhaftes – weil kontaminiertes – Produkt aus einer solchen Produktionsumgebung zu katastrophalen Auswirkungen in der finalen Verwendung führen könnte, zum Beispiel als Arzneimittel oder Medizinprodukt. Betreiber eines Reinraums sind sich daher bewusst, dass mit dessen Reinigung und/oder Desinfektion/Dekontamination die ganze Produktion oder gar der Name und die Existenz des Unternehmens steht oder fällt. Daraus entsteht eine hoch spezialisierte Dienstleistung der Reinigung, die sehr unterschiedliche Sensibilität und Stellenwert aufweist – verglichen mit der Reinigung in einem Büro, Krankenhaus oder sogar einem OP-Raum.
Reinigung aktuell: Also kein Wachstumsmarkt für Reinigungsdienstleister?
Fiala: Wenngleich sich der Reinraum für Reinigungsdienstleister als interessanter Wachstumsmarkt darstellt – die Erfahrungen, die einige Unternehmen leider teuer bezahlen mussten, zeigen eines deutlich und dennoch wertfrei: Mitarbeiter, die in der allgemeinen Reinigung außerhalb von Reinräumen tätig sind, auch in solch einer High-Tech-Umgebung einzusetzen, ist in jedem Fall ein „No-Go“, um nicht zu sagen ein Sakrileg. Man könnte den Unterschied mit dem Annähen eines Knopfes und Mikrochirurgie verdeutlichen. Beides hat seine Berechtigung und hat mit Nähen zu tun – ist aber bei weitem nicht dasselbe! Im Ernstfall möchte man garantiert nicht von einem noch so talentierten und angesehenen Schneidermeister operiert werden, selbst wenn man seine hochwertigen Anzüge dort fertigen lässt.
Reinigung aktuell: Welche Konsequenzen ergeben sich dadurch?
Fiala: Das hat Auswirkungen auf die Preissituation am Markt. Immer wieder zeigt sich die Problematik, dass Reinigungsdienstleister Kunden mit – für den Reinraum – günstigen Tarifen anlocken. In weiterer Folge ist der Dienstleister jedoch nicht in der Lage, die hohen Anforderungen zu erfüllen. Fehlende Erfahrung im Reinraum und Know-how der produktspezifischen und regulativen Anforderungen sowie seiner Infrastruktur und Personalstruktur machen es unmöglich. Leider ist für so manchen Kunden damit das Thema „Outsourcing der Reinigungsdienstleistung“ auf längere Zeit gegessen.
Reinigung aktuell: Können Sie auch die Personalsituation dieser Branche in Österreich beschreiben?
Fiala: Die generell herausfordernde Personalsituation dieser Branche in Österreich verschärft sich im Umfeld Reinraum angesichts des zuvor Geschilderten und der potenziellen Risiken für das Produkt aus dem Reinraum nochmal deutlich. Einen eigens abgegrenzten Mitarbeiterstamm zu halten, der für den Reinraum qualifiziert ist, ist unabdingbar. Und selbst hier ist eine Abstufung entsprechend der Kundenanforderungen zu überlegen. Hinzu kommt, dass – bedingt durch die spezielle Bekleidung sowie Verhaltensrichtlinien – die Arbeit in Reinräumen per se mental wie körperlich äußerst fordernd und anstrengend ist. Dies schränkt abermals den Pool an geeigneten Mitarbeitern ein.
Reinigung aktuell: Wie kann man darauf reagieren?
Fiala: Parallel dazu, wie sich die Anforderungen an Qualifikation und Motivation dieser Mitarbeiter von jenen der allgemeinen Reinigungstätigkeiten abheben, muss dies auch die für die Entlohnung und die Möglichkeiten der Aus-/Weiterbildung dieser spezialisierten Mitarbeiter gelten. Nur so kann Mitarbeiterfluktuation vorgebeugt werden und mittelfristig eine solide Dienstleistung in diesem besonderen Umfeld aufgebaut und am Markt etabliert werden. Ausbildungsprogramme von reinraumerfahrenen und nach ISO 29990 qualifizierten Lerndienstleistern – wie eben Comprei – vermitteln auf nachhaltige Weise das Rüstzeug für das umgebungsgerechte bewusste Verhalten und die spezifische Umsetzung der Reinigungsprozesse in Reinräumen. Voraussetzung für den Erfolg dieser Ausbildungsmaßnahmen bleiben die vorgenannten Rahmenbedingungen.
Reinigung aktuell: Wie sieht es mit Outsourcing dieser Leistung aus?
Fiala: Die Frage, ob die Reinraumreinigung an einen externen Partner vergeben wird oder durch die eigenen Mitarbeiter erfolgen soll, wird von zahlreichen individuellen Faktoren bestimmt und kann nicht generell beantwortet werden. Für beide Varianten gibt es Pro und Contra: Für die betriebsinterne Lösung spricht unter anderem, dass die eigenen Mitarbeiter mit Gegebenheiten und Prozessen meist besser vertraut sind. Da die Reinigung gerade in besonders sensiblen Reinraumbereichen häufig eng an weitere sensible Prozesse gekoppelt ist, scheinen die Schnittstellen hierbei besser zu schließen. Gleichzeitig mag im Alltag die adäquate Umsetzung auf Reinigungstätigkeiten ins Hintertreffen geraten, wenn sich bei der Belegschaft das Bewältigen von Produktionsspitzen naturgemäß in den Vordergrund drängt. Allgemein sieht man die Tendenz, dass weniger sensible Bereiche eher von Outsourcing der Reinigung betroffen sind als sensible Reinraum-Klassen.
Reinigung aktuell: Worauf kommt es bei der Aus- und Weiterbildung an?
Fiala: Ob bei interner Ausführung oder Outsourcing der Reinigung – es bestätigt sich, dass praxisnahe Ausbildung und wiederkehrendes Training eine entscheidende Schlüsselrolle spielen. Andernfalls kann man beobachten, dass sich gewisse Fehler und Mängel im Reinigungsprozess als „Gewohnheitsrecht“ breitmachen. Auch ist mit einer gewissen Betriebsblindheit zu rechnen – hier erkennt der Blick eines externen Experten für Reinraum sehr schnell Potential für Steigerung von Qualität und Sicherheit und effizientem Einsatz von Ressourcen.
Reinigung aktuell: Was erwarten Sie in diesem Markt speziell für 2020?
Fiala: Internationale Standards und Normen legen die Basis für die Prozesse und das Qualitätsmanagement in Reinräumen und betreffen damit auch Zulieferer und Dienstleister. Das für dieses Jahr erwartete Inkrafttreten der länger angekündigten Revision des Anhang 1 zum EU-GMP Leitfaden wird über die dezidierte Forderung des Qualitätsrisikomanagements auch die Prozesse der Reinigung und Desinfektion berühren. Es ist zu erwarten, dass die Anforderungen hierfür – sowohl intern ausgeführt als auch durch externe Dienstleister – angezogen werden.
Trend zu automatisierten Systemen im Reinraum
Den größten, schwierigsten und auch am meisten nachgefragten Reinraum-Reinigungsbedarf hat die Life Science Branche.
Es gibt in Österreich nur wenige Reinraum-Reinigungsfirmen, die als externe Firmen entsprechende Leistungen anbieten. „In der Regel werden die Reinigungsarbeiten nach bestimmten und spezifischen Reinigungsvorschriften oder SOPs von eigenem Personal oder von Vertragspartnern durchgeführt“, erklärt Josef Ortner, Geschäftsführer der Ortner Reinraumtechnik in Villach. Solche Vertragspartner seien meist ganz normale Gebäudereinigungsfirmen, von denen die zugewiesenen Mitarbeiter vom Nutzer auf die speziellen Reinigungsprozesse eingeschult würden, es gebe natürlich auch spezialisierte Reinraum-Reinigungsunternehmen. „Man muss bei der Frage nach Dienstleistern klar unterscheiden, um welche Branche und Kompetenz es sich handelt. Es gibt kaum ein Produkt oder eine Komponente in der gesamten Wertschöpfungskette, die nicht unter spezifischen Reinraumbedingungen oder Sauberraumatmosphären gefertigt oder produziert wird“, erläutert Ortner die gravierenden Unterschiede der Anforderungen aus den verschiedensten Branchen:
- „Mikroelektronik, Elektronik und Mechatronik“. Da geht es ausschließlich um Partikel, z.T. mikrokleine Feststoff-Partikel;
- „Life Science – Pharmazie, Wirkstoffherstellung, Medizin, Medikamentenherstellung, Heilmittelproduktion“, da geht es um biologische und mikrobiologische Verunreinigungen und Erreger;
- „Lebensmittelproduktion und Lebensmittelverarbeitung“. Hier kann es rein produktbezogene Schadstoffe geben, die für das jeweilige Produkt ein Risiko darstellen, z.B. Backwaren (Schimmel, Sporen), Fleisch (Listerien, Bakterien)
- „BSL – Bio Safety Level“. Damit sind Labore und Forschungseinrichtungen gemeint, die speziell im Bereich der Tierversuche arbeiten. Dabei handelt es sich zwar nicht um Schmutz im eigentlichen Sinne, aber im besonderen Maße um Viren, Erreger, Bakterien und Keime.
„Jede dieser großen Branchengruppen hat komplett andere Anforderungen und auch ein anderes Qualitätssicherungssystem“, so der Reinraum-Experte. „Der größte und schwierigste und auch der am meisten nachgefragte Reinigungsbedarf liegt in der höher liegenden Life Science Branche, weil dort die größten Anforderungen an die Verlässlichkeit und am Qualitätsverständnis liegen.“
Was ist von diesem Markt für 2020 zu erwarten? Ortner: „Wenn diese Frage vor drei Monaten gestellt worden wäre, würde ich sagen, es gibt keinen besonderen Bedarf und es wird sich nicht viel ändern. In Zeiten von Corona ist diese Frage aber wieder ganz anders zu beurteilen. Wenn Gewöhnungseffekte und die leichtfertige Zufriedenheit der erbrachten Leistung generell die größte Gefahr in der Reinraumreinigung darstellen, so ändert sich dieses Verhalten und das Bewusstsein im Moment schlagartig: Plötzlich ist uns allen bewusst, wie sauber wir uns reinigen müssen, auch wenn wir die Viren nicht sehen. Ich bin auch überzeugt, dass die Entwicklung zu automatisierten technischen Reinigungs-, Dekontaminations- und Sterilisationssystemen rasch voranschreiten wird. Natürlich sind solche Techniken nicht überall einsetzbar, aber wo dies möglich ist, werden neue Systeme zum Einsatz kommen“, ist Ortner überzeugt.