Zur Erinnerung: Die Inspiration für das Setting dieses Interviews war der Film von Louis Malle „Mein Essen mit André“ (1981), das von uns gewählte Lokal ist aber nicht ein französisches in New York, sondern heuer das Artner auf der Wieden. Mein Gast 2024: Michael Freitag, CEO von SODEXO.
ReinigungAktuell: In LinkedIn steht, Sie sind schon über 26 Jahre bei Sodexo?
Michael Freitag: „In der Summe sind es schon fast 30 – ich war schon vorher bei Sodexo und dann zwei Jahre weg.“
ReinigungAktuell: Das heißt, Sie kommen von der Gutscheinecke?
Freitag: „Nein, aus der Catering-Ecke. Catering und Gutscheine waren immer zwei separate Unternehmen. Ich war bei Menümobil-Catering in der Nähe von Innsbruck, einem kleinen, mittelständischen Catering-Unternehmen, das vor allem im Bereich der Seniorenheime tätig war, aber auch Betriebsrestaurants hatte. Menümobil hat recht erfolgreich begonnen, war aber zunehmend überfordert, alles von Tirol aus zu steuern. Dieses Unternehmen hat Sodexo dann gekauft. Ich war sozusagen Mitarbeiter der ersten Stunde und wurde bei dieser Akquisition mit übernommen. Ich war der erste Standortleiter von Sodexo in Österreich. Meine berufliche Karriere hat 1986 ganz klassisch in der Hotellerie begonnen – am Beginn in der Küche unter Werner Matt (legendärer Koch mit 2 Gault Millau Hauben). Es folgte dann Weiterbildung in der Hotellerie und im Management. Ich habe da so richtig den Geschmack an Dienstleistung und Hospitality gewonnen. Über das Housekeeping bin ich auch zur Reinigungsdienstleistung gekommen. Nach meiner ersten Phase bei Sodexo habe ich die Entscheidung getroffen, dass ich doch noch mal studieren möchte, Diplom Betriebswirt und dann ein MBA. Das war einfach notwendig, um dort zu landen, wo ich heute bin. In einem internationalen Konzern braucht es neben der Erfahrung und neben dem Erfolg im Vertrieb eben auch einen gewissen akademischen Background. Das ist, glaube ich, in allen großen internationalen Konzernen so. Ich habe das rasch erkannt und es hat auch so funktioniert. Sodexo hat mich danach angerufen und gesagt: „Wir brauchen einen Regionalleiter“, einen Mann für alles. Wir sind dann relativ rasch gewachsen, haben Akquisitionen im Catering-Bereich gemacht bis zur großen Akquisition von Zehnacker, die uns dann mehr als verdoppelt hat.“
Wir lieben es, breit aufgestellt zu sein, und schauen, dass das so bleibt, denn es wird immer bessere und schlechtere Zeit in den unterschiedlichen Dienstleistungs-segmenten geben.
ReinigungAktuell: Da hat das kleine Unternehmen das Größere gekauft?
Freitag: „Ja, Zehnacker-Catering, Astrein, CSS und Securex waren in Österreich mehr als doppelt so groß wie Sodexo. Solche Akquisitionen habe ich in meiner Masterarbeit im Rahmen von mergers & acquisitions beschrieben. Unsere Mutter in Paris hat diese Entscheidung getroffen und finanziert. Man wollte im Facility-Management-Bereich in Europa wachsen und ein breites Dienstleistungsportfolio aufbauen. Die strategisch absolut richtige Ausrichtung: Zehnacker war ideal, nicht zu techniklastig und auf einen Sitz waren wir in Deutschland, der Schweiz, Polen und Österreich sehr gut aufgestellt.“
ReinigungAktuell: Wie verteilen sich die Sodexo-Umsätze?
Freitag: „In Österreich sind wir bei 75% Reinigung und reinigungsnahen Dienstleistungen. Da gehört auch Logistik dazu, also Krankenhaus-Logistik und die Stations-Service-Kräfte. 20% macht mittlerweile das Catering aus. In Österreich ist der Reinigungsanteil in den letzten Jahren massiv gewachsen und Catering hat sich, nicht zuletzt durch Covid und Homeoffice, sehr verändert. Reinigung ist nach wie vor unser Hauptgeschäft, aber wir machen auch viel Pflege, Unterstützungsdienstleistungen und Stationsservice. Da sind wir auch Marktführer in Österreich. Das sind die Bereiche, wo wir am stärksten wachsen. Wir haben einen kleinen Bereich Sicherheit, wo wir uns auf Sicherheit im Krankenhaus konzentrieren, weil auch hier der Bedarf größer wird. Der Bereich Catering steht natürlich weiter im Fokus, hier wollen wir auch wachsen und investieren dementsprechend. Auch Akquisitionen stehen wir offen gegenüber. Wir lieben es, breit aufgestellt zu sein, und schauen, dass das so bleibt, denn es wird immer bessere und schlechtere Zeit in den unterschiedlichen Dienstleistungssegmenten geben. Covid hat uns deutlich gezeigt, wie das ist, wenn die Menschen nicht mehr zum Arbeitsplatz oder ins Büro kommen oder die Krankenhäuser zum Teil aufgrund des Freihaltens von Notfallsbetten nicht so ganz gefüllt sind.“
ReinigungAktuell: Die Krankenhäuser haben immer die Hand auf der Küche. Warum ist das so?
Freitag: „Care Catering ist auch in Österreich ein großer Markt – wenn er sich mal öffnen würde! Darauf warten alle schon die letzten 50 Jahre. Vielleicht ist der Schmerz, keine Mitarbeiter zu finden, noch nicht groß genug. Aber der Markt wäre sehr interessant. Ich glaube, es ist politisch gewünscht, damit jeder regional einkauft. Es gibt europäische Länder, wo das auch so ist und es gibt Länder, die neu zu 100% outgesourct haben. Das ist ein Mindset-Thema. Aus meiner Sicht ist es nicht die Kernkompetenz eines Unternehmens, einer Bank oder eines Krankenhauses oder eines Seniorenheims, selbst zu kochen. Wichtig ist nur, dass der Kunde versteht, dass es einen Mehrwert hat, dass es günstiger ist, mit Outsourcing zu arbeiten.“
ReinigungAktuell: Wie sieht es mit PPP-Modellen aus?
Freitag: „In Vorarlberg haben wir ein PPP-Modell – ist aber eines von wenigen. Das ist schade, denn wenn ich die Themen in der Pflege hernehme, den Pflegenotstand beim Personal, die Verfügbarkeit oder Nichtverfügbarkeit von qualifizierten Ärzten, dann verstehe ich nicht, warum es da kein Umdenken gib, dass es unter Umständen einfacher und kostengünstiger geht.“
ReinigungAktuell: Sie haben einmal von einer besonderen Wertekultur bei Sodexo gesprochen.
Freitag: „Der Gründer von Sodexo, Pierre Bellon hat in einer Zeit, wo das noch fremd war, immer gesagt, die Lebensqualität der Menschen muss im Vordergrund stehen. Wenn man sich heute die Studien anschaut, ist das für jeden Menschen auf der Welt noch immer das höchste Gut. Aber es bedeutet auch in jedem Land etwas anderes. Bei Sodexo werden Diversität, Gleichbehandlung, Inklusion, Equal Pay, Internationalität auch wirklich gelebt. Das war die Gründungsidee, es war von Beginn an die Vision und Strategie des Unternehmens, dass man weltweit tätig sein wird und deswegen diese Wertekultur auch leben muss. Ich würde mir sehr wünschen, dass das bei Ausschreibungen wie in einigen anderen Ländern Europas auch berücksichtigt wird. Dafür braucht es lediglich die notwendigen Zertifikate für eine bessere qualitative Punktebewertung. Im Rahmen von CSR trägt das Unternehmen soziale Verantwortung und gibt somit dem Land oder Bundesland, in dem es arbeitet, auch etwas zurück. Das gehört für mich dazu. Die europäischen Ausschreibungsrichtlinien werden ja ständig überarbeitet, und anhand der ESG-Richtlinien, anhand Green Deal und anderen Maßnahmen hoffe ich, dass es noch zu einem wesentlich stärkeren Stellenwert kommt. Diese Kriterien, diese Zertifikate gibt es ja und fast jeder schreibt es ins Konzept. Ob sie es auch in Wirklichkeit dann leben? Rufzeichen, Fragezeichen.“
ReinigungAktuell: Die Arbeiterkammer hat ja jetzt die Kündigungsfristen eingeklagt.
Freitag: „Das macht zumindest die wirtschaftliche Situation leider nicht einfacher. Ich bin schon dafür, dass man den Mitarbeitern Gleichstellung zu anderen Branchen geben muss. Dann muss aber auch der Markt und der öffentliche Auftraggeber verstehen, dass er andere Preise bezahlen muss, denn letztendlich spiegelt sich das irgendwo im Preis wieder. Prinzipiell bin ich nicht gegen Dinge, die unsere Branche für den Mitarbeiter sicherer machen beziehungsweise attraktiver machen, aber ich bin schon dafür, dass man sich überlegt, wenn man Verursacher von Kosten ist, dass man diese auch irgendwie versucht, für eine Branche zu kompensieren, nämlich für den Mitarbeiter in gemeinsames Interesse.“
Ich bin schon dafür, dass man den Mitarbeitern Gleichstellung zu anderen Branchen geben muss. Dann muss aber auch der Markt und der öffentliche Auftraggeber verstehen, dass er andere Preise bezahlen muss.
ReingungAktuell: Sehen Sie weitere technische Entwicklungen? Etwa den Kochroboter?
Freitag: „Ja, wir haben in Tübingen den ersten in Betrieb genommen und planen nun einen in Wien – das ist wirklich High-Tech. Es können Salate, Bowls, Pasta-Gerichte frisch zubereitet werden, Fleisch mit Induktionstechnik frisch gebraten werden und es ist auch die nötige Spültechnologie dahinter. Also echte Frischküche! Aber es ist nicht dazu da, um Köche zu ersetzen, es ist einfach ein Add-on, etwa für Betriebe mit Schichtverpflegung, wo geringere Volumina versorgt werden müssen, oder für Standorte, wo ich Versorgungssicherheit haben muss, aber es einfach schwer Personal gibt. Wir haben jetzt ein Konzept mit einem Start-up aus Hamburg entwickelt, das wir jetzt in Deutschland und Österreich flächendeckend ausrollen wollen: Überall dort, wo sich Mitarbeiter von der Kostenkalkulation her nicht rechnen – etwa in Nachtschichtbetrieben – wo man trotzdem frischgekochtes Mittag- oder Abendessen zusätzlich anbieten möchte.“
ReinigungAktuell: Wie steht es um die Roboter-Kassen?
Freitag: „Es gibt verschiedene Technologien. Wir nutzen da den Dish-Tracker und haben ihn in unseren eigenen Betriebsrestaurants im Einsatz. Die Technologie lernt und hat sich massiv weiterentwickelt. Es geht nicht darum, jemandem seinen Arbeitsplatz zu nehmen, sondern eher darum, jene paar Stunden über Mittag abzudecken, wo ich niemanden finde. Zu 100% wird es nie nur mit diese Technologie gehen, sondern man braucht immer einen Menschen im Hintergrund, der ein Auge drauf hat und die Technologie begleitet. Derzeit gibt es noch eine gewisse Lernkurve in Bezug auf Erkennung von einigen Produkten und Artikeln, aber wir sind sehr sehr positiv beeindruckt. Es schafft eine massive Entlastung und es schafft auch eine Entlastung zu den Spitzenzeiten, wo Teilzeitkräfte zu Mittag in manchen Regionen, in manchen Städten nicht verfügbar sind. Und dieses Add-on im Rahmen der Digitalisierung ist wirklich ein Schritt vorwärts in die richtige Richtung.“
ReinigungAktuell: Was sind die großen Themen der Branche?
Freitag: „Erstens der Mitarbeitermangel. Das ist aber ganz unterschiedlich in Bundesländern, Städten und Regionen. Vor allem im Westen, in Vorarlberg, im Süden Österreichs ist es extrem schwierig. Auch mit Teilzeitkräften in ländlichen Gebieten, die nicht gut öffentlich erreichbar sind, ist es sehr problematisch. Zweitens die Demografie. Es kommen jetzt die geburtenschwächeren Jahrgänge. Die zuverlässigsten, qualitativ hochwertigsten Arbeitskräfte in der Reinigung sind meistens 45 plus. Ich will nicht schlecht über die Jüngeren sprechen, aber es gibt einfach viel weniger von ihnen, die in die Reinigung wechseln wollen. Drittens der zu geringe Abstand zwischen Mindestsicherung und Mindesteinkommen laut Kollektivvertrag. Arbeiten muss sich einfach deutlich mehr auszahlen, damit die Leute motiviert werden, in der Reinigung zu arbeiten. Ich würde jetzt gar nicht sagen, dass man die Mindestsicherung für die, die das brauchen, reduziert, aber es gibt doch die Unterscheidung zwischen arbeitsfähig und arbeitswillig. Man muss es halt nur schaffen festzustellen, wer nicht arbeitswillig ist, und da die Motivation zu erhöhen. Viertens Technologie. Noch ist sie eher ein Hilfsmittel als eine Ersatzlösung, aber das kann sich in wenigen Jahren schnell ändern.“
ReinigungAktuell: Sind wir in der Krise?
Freitag: „Na ja … Covid, die ganzen Kostenerhöhungen danach, der Krieg in der Ukraine … das hat die gesamte Wirtschaft auf den Kopf gestellt. Wir sind in der größten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg, selbst wenn das alle in unterschiedlicher Intensität oder Form mitbekommen. Für manche sind es höhere Stromkosten, für andere aber, dass sie sich Dinge des täglichen Lebens nicht leisten können. Der Kostendruck findet sich letztlich auch beim Dienstleister und bedeutet in den meisten Fällen Einsparungen, neue Konzepte, Transformationen. Aber ich sehe dadurch auch eine Bereinigung des Marktes und großes Wachstumspotenzial für die gesamte Branche. Im Moment ist alles ein wenig verfälscht durch die hohen Abschlüsse bei den Kollektivverträgen und den Inflationsraten, aber es wird zu einer Marktbereinigung und zu einer Konzentration auf Anbieter, die leistungsfähig und gut aufgestellt sind, kommen. Das muss nicht heißen: die Großen! Das wird regional und je nach Dienstleistung unterschiedlich sein. Klein- und Mittelbetriebe werden in Österreich immer ihre Berechtigung haben. Ich glaube, es geht eher in Richtung Spezialisierung. Ganz große Aufträge für ganz kleine Unternehmen, das kennt man aus dem Technikbereich, sind manchmal nicht gesund für Unternehmen aufgrund von langen Zahlungszielen, wo Firmen in die finanzielle Vorlage gehen müssen. Es muss beides geben: große Institutionen mit Versorgungssicherheit und wirtschaftlicher Kraft und mittelständische Unternehmen mit unterschiedlichen Portfolios.“
Der Kostendruck bedeutet in den meisten Fällen Einsparungen, neue Konzepte, Transformationen. Aber ich sehe dadurch auch eine Bereinigung des Marktes und großes Wachstumspotenzial für die gesamte Branche.
ReinigungAktuell: Gibt es Branchensegmente, die höheres Wachstumspotenzial haben als andere?
Freitag: „Nein. Anbieter, die die sich auf die Zukunft besser einstellen können, werden mit höherem Wachstumspotenzial ausgezeichnet. Wenn ich meinen Kunden Sicherheit und Qualität zu einem attraktiven Preis geben kann und ihm dabei helfe, die Transformation am Arbeitsmarkt auszugleichen, nämlich Mitarbeiter in Regionen zu haben, wo andere keine haben, das ist der Vorsprung am Markt! Ich glaube gar nicht, dass es spezifische Lücken als solche gibt. Es kommt es drauf an, wie sich die gesamte österreichische Wirtschaft entwickelt, wie der Wirtschaftsstandard Österreich gefestigt wird. Das sind alles Themen, die ganz entscheidend sind für uns als Dienstleister.“
ReinigungAktuell: Eine Richtungsentscheidung gibt es im September.
Freitag: „Das stimmt, wobei wir wissen: nach der Wahl ist vor der Wahl und umgekehrt. Das heißt, im Prinzip: Ich messe die Politik an ihren Taten und ihren Erfolgen und nicht an ihren Versprechen.“
ReinigungAktuell: Was machen Sie privat?
Freitag: „Ich genieße es, unsere Kinder zu sehen. Ich genieße es, meine Zeit mit meiner Frau zu verbringen. Das ist unter der Woche fast nicht möglich, manchmal auch am Wochenende nicht, aber sie ist sehr verständnisvoll, weil sie selber beruflich sehr engagiert ist, und lässt mir da auch meinen Freiraum. Ein bisschen segeln, ein bisschen E-Biken und das Leben genießen. Also alles, was der Neusiedlersee und die Region so kulinarisch hergeben, ist das, was uns Freude macht als Ausgleich zum stressigen Berufsalltag.“