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Mein Essen mit Viktor

Die Inspiration für das Setting dieses Interviews war der Film von Louis Malle „Mein Essen mit André“ (1981), das von uns gewählte Lokal aber nicht ein französisches in New York, sondern das Plachutta in Wien. Mein Gast, KommR Viktor Wagner, Gründer und Chef der REIWAG Unternehmensgruppe, ist quasi der Doyen der Branche, ein Gentleman der alten Schule und gilt als Meister-Netzwerker.

Text: Christian Wolfsberg

Christian Wolfsberg: Ihr Großvater Jakob hat 1903 begonnen, ihm folgte Ihr Vater, Viktor senior, und Sie sind dann Ende 1967 eingestiegen.

Viktor Wagner: Mein Vater wollte, dass ich einen sicheren, pragmatisierten Beruf ergreife, daher ging ich zunächst zur Zentralsparkasse – mein Schalterkollege war übrigens Gerhard Randa, der spätere Generaldirektor der Bank Austria. Auf einer Reise nach New York – beim damaligen Dollarkurs konnte ich nur kurz bleiben und mir auch nur eine Mahlzeit am Tag leisten – suchte ich das Büro des österreichischen Handelsdelegierten Dr. Otto Steckelhuber auf. Der wollte einen Niemand nicht sprechen, aber ich blieb hart: Ich ließ ausrichten, dass ich das Vorzimmer sonst einfach nicht verlassen würde. Im Übrigen halte ich Hartnäckigkeit für eines meiner Erfolgsrezepte. Jedenfalls … Steckelhuber hatte einen Kontakt zur Gebäudereinigungsbranche, und so traf ich am nächsten Tag Norman Davis, den Vizepräsidenten von National Cleaning, einer Firma mit etwa 10.000 Beschäftigten, und konnte so einen Crashkurs über Management und Organisation einer New Yorker Reinigungsfirma kennenlernen. Vollgepumpt mit unternehmerischem Eifer, flog ich via Island mit einer Kondenswasser triefenden DC 8 zurück.

In Wien bat ich meinen Vater, mit seinem Gewerbeschein meine eigene Firma zu gründen. Einem nichtverschuldeten Verkehrsunfall verdanke ich mein Startkapital von 20.000 Schilling (1.453 €). Dafür kaufte ich mir einen alten VW Käfer, baute den Beifahrersitz aus, kaufte eine Leitergalerie und hatte so mein erstes Firmenauto. Ich war eine One-Man-Show: Verkäufer, Arbeiter, Buchhalter. Ich weiß daher genau, was es heißt, den ganzen Tag Fenster zu „putzen“. Ich habe das Geschäft von der Pike auf gelernt, hatte aber auch Glück mit dem 1968 in Österreich einsetzenden Wirtschaftsboom, wo immer mehr neue Bürogebäude in Wien entstanden.

Wann hat REIWAG endgültig abgehoben?

Wagner: 1991 wurde dann die REIWAG Facility Services in Prag gegründet. Das war reiner Zufall. Es wäre fast Budapest geworden. Ich saß zufälligerweise im PanAm Flieger mit Árpád Göncz (Anm.: damals Präsident von Ungarn), aber seine Kontakte waren für mich nicht verwertbar. Also fuhr ich von Budapest weiter nach Prag. Prag war damals grau und sehr traurig, niemand hat gelacht, aber ich wußte, das Land wird sich verändern, die Menschen sind tüchtig. Ich wollte in dieser Phase, bei dieser Öffnung einfach dabei sein.

Auf Habsburgs Spuren?

Wagner: Ja, Österreich hat in diesen Ländern doch einen guten Zugang, alles ist sehr ähnlich, von der Architektur bis zu den Menschen. Mir ist es geglückt, den Ex-Chef der MA 48, Dr. Gilnreiner, der sich gerade mit der Gewerkschaft überworfen hatte, als Konsulent zu gewinnen. Die MA48 ist ja hervorragend organisiert und leistet sehr viel – vielleicht ist es aber nicht notwendig, dass man es gar so teuer macht! Wir haben dann die Stadt Prag besucht und sie uns und anschließend die KOMWAG gegründet. Wir waren bis zur Finanzkrise 2008 auch in Ungarn, wollten den danach einsetzenden Preisverfall aber nicht mitmachen. Viele Unternehmen haben einfach „grau“ bezahlt; sie haben nur einen Teil offiziell mit Abgaben, einen Teil schwarz ausbezahlt – für mich undenkbar. Das sind genau die Dinge, die einen später einholen!

Sie sind über 50 Jahre in dieser Branche. Wie hat sie sich verändert, technisch und ökonomisch?

Wagner: Technisch enorm. 1968 hat es gereicht, wenn man beim Kunden Vertrauen und Zuverlässigkeit erweckt hat. 2021 ist die Reinigung eine brutale Industrie geworden, eine von beinhartem internationalen Wettbewerb getriebene Branche. Wer kein CAFM System hat, keine ISO Zertifizierung, braucht gar nicht erst anbieten. Die Ausschreibungen sind extrem komplex geworden. Und das Internet und alle Kommunikationstechniken. Kürzlich wurde unser erster Wisch-Roboter geliefert – auch das wird Zug um Zug die Branche verändern.

Wo liegt die Schwelle von einem Kleinunternehmen zu einem echten Mitspielenden?

Wagner: Eine ernstzunehmende Unternehmensgröße und viele Referenzen. Deswegen konnten wir eben auch zwei Unternehmen (Anm. in Salzburg im März und jetzt in Innsbruck) erwerben. Beide schafften alleine nicht die Hürde, vom Einkauf ernst genommen zu werden.

Wie geht’s weiter?

Wagner: Beim Thema Robotics und anderen Innovationen kommt es auf den Return-on-Investment an; das ist und wird aber mehr ein Thema der größeren bis großen Marktteilnehmer sein. Bei den kleinen und kleinsten Unternehmen kommt es auf das Engagement, auf die Wissbegierigkeit an. Im Grunde genommen sollte sich jeder Unternehmer täglich fragen: Was kann ich heute dazulernen. Und ganz, ganz wichtig: Netzwerken, also Kontakte knüpfen und pflegen und mit möglichst vielen Gespräche führen. Ich muss allerdings zugeben: Es ist schwerer geworden. In der Gründerzeit (Nachkriegs- bis Ende der 70er Jahre) haben sich die Tüchtigen sehr schnell durchgesetzt.

Wie lange wollen Sie persönlich aktiv bleiben?

Wagner: Solange ich noch Sinnvolles beitragen kann, für das Unternehmen einen Mehrwert bringe. Arbeit ist ja etwas wundervolles, insbesondere wenn man das Glück hat wie ich, zu gestalten und etwas zu bewegen. Obwohl ich ganz zu Beginn vor Arbeit fast kollabiert wäre – ein Freund hat mich gezwungen mit ihm täglich zu Mittag zu essen – hatte jede Phase ihre spezielle Faszination.

Ein Satz zum Schluss?

Wagner: Ich hatte das Glück, in Österreich geboren zu sein!

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