Michael T. Grüssinger, Geschäftsführer von Kärcher, über Gegenwart und Zukunft.
Text Christian Wolfsberg
ReinigungAktuell: Kärcher ist heuer post CEE und post Bösch. Ist jetzt Schlanken angesagt?
Michael T. Grüssinger: Ganz im Gegenteil, wir haben heuer Personal aufgestockt und werden das wohl auch nächstes Jahr tun – aber eben Personal mit ganz anderen Aufgaben. Als Mittel- und Osteuropazentrale haben wir uns sehr stark im Logistik- und Lagerbereich bewegt. Jetzt, wo wir „nur“ mehr für Österreich, Ex-Jugoslawien und Albanien verantwortlich sind, expandieren wir personell vorwiegend in den Bereichen Vertrieb, E-Commerce und Marketing. Ad post Bösch: Das von Bösch Reinigungstechnik übernommene Chemie- und Zubehörgeschäft wird natürlich weiter ausgerollt und läuft unterschiedlich gut. In Polen und der Schweiz mit großem Erfolg, in Deutschland etwas schleppender und in England haben wir eben erst begonnen. Weitere Länder sind 2019 geplant.
Wie sieht sich Kärcher in Österreich, mehr als Hersteller oder als Händler?
Grüssinger: Als Partner. Wir sind natürlich beides. Bei 80 % unserer verkauften Produkte sind wir Hersteller, bei 20 % Händler. Wir wollen aber in erster Linie ein Partner des Kunden sein und seine Bedürfnisse bestmöglich abdecken. Daher gehen wir auch vermehrt den Weg der Partnerschaft mit internationalen Unternehmen auf Vertriebs-, Handels- oder Beraterbasis ein. Nach dem Motto: Wir müssen nicht immer das Rad neu erfinden, wo es doch so viele kompetente Firmen bereits gibt, die gerne mit uns kooperieren. Bei unseren neun eigenen Outlets in Österreich sind wir selbstverständlich Händler. Generell ändert sich die Handelslandschaft aber. Die kleinen Familienbetriebe sterben mangels Nachfolger ab und an deren Stelle treten dann größere Gruppierungen. Wohin die Reise geht, ist noch nicht ganz klar, sicher ist aber, dass E-Commerce in Zukunft eine weitaus bedeutendere Rolle spielen wird.
Ticken die Uhren betreffend Robotics und Digitalisierung in Österreich anders?
Grüssinger: Ich habe den Eindruck, dass es in Österreich nicht langsamer geht als im benachbarten Ausland. Wir sind aber an einem Scheideweg, der Digitialisierung angelangt. Wir als Hersteller haben bisher den Fehler gemacht, die Digitalisierung nur auf die eigene Produktfamilie zu beziehen. Das führt leider dazu, dass der Endkunde, der Dienstleister, das Hotel oder die Öffentliche Hand mit vielen verschiedenen digitalen Systemen arbeiten muss, die nicht miteinander kommunizieren. Wir glauben daher an die Vereinheitlichung dieser digitalen Systeme. Es muss, ja es wird einheitliche, gemeinsame, offene Plattformen geben. Der Nutzen, der dem Kunden durch die Digitalisierung versprochen wird, kann sonst nicht eingehalten werden. Vier oder fünf digitale Systeme machen alles einfach nur noch viel komplizierter. Ich bin 100 % überzeugt, dass es diese gemeinsame, offene Plattform oder Plattformen in den nächsten 1-2 Jahren auch geben wird.
Wird es den österreichischen Weg des Beziehungsvertriebs künftig noch geben?
Grüssinger: Nein. Das Geschäft geht eindeutig weg von der reinen Beziehungsebene hin zu einer zunehmenden Versachlichung von Einkaufsentscheidungen. Das sehen wir überall. Der Vertrieb nach dem Motto: „Servas Rudi, brauchst was?“ ist ein Auslaufmodell. Den Rudi gibt’s nicht mehr. Das ist und wird eine große Umstellung für Österreich – aber unvermeidlich.
Wie geht’s weiter?
Grüssinger: Vielleicht entdeckt demnächst auch Amazon seine Liebe zur Reinigung – mit einem Uber-Modell etwa? Wir sehen zwei Welten am Markt: Die eine, für die Reinigung und Hygiene sehr wichtig ist, die sehr hohe Ansprüche stellt und die bereit ist, dafür auch zu bezahlen. Und die andere, die keine hohen Ansprüche stellt und versucht, sich über den Bestpreis das Nötigste zu besorgen und das dann vielleicht noch falsch einsetzt. Als Markenartikler wenden wir uns natürlich nur der ersten Gruppe zu. Wir sehen auch bei den Kunden und den Dienstleistern, dass die Ansprüche steigen, wie auch die Qualifizierung der Mitarbeiter. Diese Kunden und diese Dienstleister wissen genau, was sie wollen, wo sie es bekommen und was es kostet. Das ist auch klar: Wenn Kunden in Standorte investieren, dann wollen sie auch eine entsprechende Werterhaltung. Sie wollen, dass ihre Mitarbeiter in sauberen Betriebsküchen essen, dass alles rein und tipp-topp ist. Wir sehen daher einen stetig steigenden Qualitätsanspruch, den es gilt zu bedienen. Manchmal ist es auch nicht so schlecht, wenn Österreich nicht gleich erster bei der Verwirklichung jeder Entwicklung ist – wir bekommen so die approbierte funktionierende Version!
Ist Österreich ein Markt wie alle anderen?
Grüssinger: Österreich entwickelt sich zunehmend zum Testmarkt, denn Österreich ist vergleichbar mit allen anderen Märkten Westeuropas, nur kleiner und daher weniger wichtig.
Also: Es werden Produkte und Dienstleistungen in Österreich getestet. Funktionieren sie, werden sie in den großen Ländern ausgerollt, funktionieren sie nicht, ist es wurscht! Diese Testfunktion macht uns daher anders.
Wie sieht es bei E-Commerce aus?
Grüssinger: Auch da ist Österreich leider anders, denn das Online Business wird schlicht verschlafen. Wenn ich mir mittelständische Deutsche Chemie- und Verbrauchsgüterunternehmen anschaue, wie die ihre online Shops zelebrieren, ist Österreich ganz weit hinten. Die Kunden verlangen aber zusehends danach. Ich schätze das b-to-b Online Business derzeit auf etwa 20-25 % ein. Die Einkäufer haben immer weniger Zeit, sie informieren sich immer mehr Online – der Kunde weiß oft ohnehin schon mehr als der Verkäufer – und die wollen dann natürlich auch gleich Online bestellen und sich nicht mit einem Verkäufer herumschlagen. Ein mittelgroßes Hotel hat ganz andere Prioritäten als zu versuchen, einen Verkäufer zu erreichen. Man will möglichst einfach und automatisiert bestellen. Handelsunternehmen in Norddeutschland sind da schon sehr weit, aber noch viel stärker ist das Online Business in Osteuropa. In Tschechien, der Slowakei und Russland etwa ist der Online-Anteil schon jetzt bei 40 % – und da kommt das Angebot vorwiegend von neutralen Plattformen, die sich, zum Unterschied zu Amazon und Alibaba, auf Reinigung und Hygiene beschränken. Es gibt viel zu tun!