Multidienstleister oder Spezialist – was treibt den einen, was den anderen an? Ein Round table dazu mit Reiwag-Chef KR Viktor Wagner und Sebstian Wilken, da-ka Hausbetreuung und Gebäudereinigung.
Text: Hansjörg Preims
Reinigung aktuell: „Multidienstleister“ oder „Spezialist“ – unternehmerische Ansichtssache?
Wagner: Viele Firmen, die heute im Facility Management tätig sind, kommen aus der Gebäudereinigung, andere kommen aus der Bauwirtschaft und wollen mit Multidienstleistung mehr Geschäft, mehr Gewinn machen. Und ich halte jeden Zugang, der einem Unternehmen zusätzlichen Gewinn erwirtschaften lässt, für legitim. Aber ja, es ist schließlich Ansichtssache: Wenn ein Gebäudereiniger sich auf ausgezeichnete Gebäudereinigung konzentrieren will und damit für seine Ansprüche ausreichend Geld verdient, dann macht er es per se absolut richtig. Man muss aber auch überlegen, wie es in 20 – 30 Jahren aussehen wird, wie sich die Gebäudereinigung, wie sich die Technik als solche entwickeln wird.
Ab wann gilt ein Unternehmen überhaupt als Multidienstleister? Wenn er über die Kern-Gebäudedienstleistungen wie Reinigung, Hausbetreuung und Winterdienst hinaus auch noch z.B. Catering und Sicherheitsdienste anbietet?
Wagner: Dieser Definition würde ich mich anschließen – und um die technischen Gebäudedienstleistungen und Property Management ergänzen.
Wilken: Dem würde ich mich auch anschließen. Aus der Sicht eines Gebäudereinigers und Hausbetreuers muss ich aber sagen: Unser Tätigkeitsfeld ist ein sehr umfangreiches – von Reinigung über Winterdienst bis Grünflächenanlagen-Betreuung. Es ist sogar im KV geregelt, dass wir auch technische Anlagen warten und servicieren, wir machen auch Pool-Reinigungen in großen Wohnhausanlagen, was auch ein großer Dokumentationsaufwand ist. Ein sehr umfangreiches Feld also, aber immer noch das klassische Gewerk Hausbetreuung bzw. Gebäudereinigung. Und wer die Ressourcen hat, das komplett umzusetzen – vor allem selber umzusetzen! –, der ist ganz gut unterwegs mit diesen verschiedenen Dienstleistungen. Da brauche ich nicht auch noch anfangen zu kochen oder irgendwo einen Türsteher hinzustellen, um das Geschäftsfeld zu erweitern. Das Argument der Synergie, das da hochgehalten wird von denen, die so genannte Multidienstleistung anbieten, ist doch nur eine reine Marketing-Synergie. In der Dienstleistungsrealität ist diese Synergie meiner Ansicht nach nicht vorhanden.
Wagner: Ich sehe das etwas anders. Allein der Umstand, dass wir, die Reiwag, in verschiedenen Ländern tätig sind, bringt Synergien in der Form, dass wir zum Beispiel für einen großen Möbelkonzern die Reinigung in Prag machen, und weil man dort mit unserer Leistung zufrieden ist, hat man uns weiterempfohlen an den Verantwortlichen in Kroatien, wo wir dann ein Angebot für die technische Instandhaltung am Standort Zagreb dieses Konzerns machen durften. Und das hat funktioniert, man war hoch zufrieden und beauftragte uns dann auch mit der technischen Instandhaltung des Standortes in Bukarest. Und für 2016 hat man uns auch eine Zusammenarbeit in Belgrad angeboten. Wenn also der Vertreter eines Auftraggebers, der die Reinigung vergibt, auch die technische Instandhaltung und noch einige andere Dienstleistungen vergibt und wir ihm die Kompetenz glaubhaft nachweisen können – warum sollten wir dann nicht den Mehrwert beim gleichen Gesprächspartner nutzen und auch mit anderen Dienstleistungen anständig Geld verdienen? Zumal man als Dienstleister am leichtesten austauschbar ist, wenn man nur die Reinigung macht, sprich: Eine Reinigungsfirma durch eine andere zu ersetzen, ist selten ein großes Problem für den Auftraggeber, wenn man aber Multidienstleistung erbringt, überlegt sich der Auftraggeber doch, ob er mit der Reinigungsfirma auch den Dienstleister im technischen Bereich wechseln möchte. Grundsätzlich also reduziert sich die Gefahr der Austauschbarkeit mit der Multidienstleistungsfunktion wesentlich.
Wilken: So wie Sie es beschrieben haben, das ist genau der Effekt, den ich meinte: Man hat eine Synergie im Marketing, man hat entsprechende Ansprechpartner, die offenbar für mehrere Länder in Europa zuständig sind, und über diese Kontakte expandieren Sie in Europa. Was aus Ihrer Sicht ja auch völlig in Ordnung und super ist. Nur könnte ich dem Kunden gegenüber nicht sagen, ich hätte dadurch eine Synergie; keine Ihrer Reinigungskräfte und keiner Ihrer technischen Facharbeiter in Belgrad wird in Bukarest tätig sein und umgekehrt. Es findet keine Synergie statt bzw. nur über das Marketing. Und damit sind wir auch beim nächsten Punkt: Viele große Firmen machen de facto die Arbeit nicht mehr selbst, sondern vergeben sie in Sub weiter. Große Firmen, die FM auf ihre Fahnen heften, sind nicht einmal in der Lage, vor der eigenen Tür Schnee zu schaufeln. International tätig sein, aber vor der eigenen Tür den Schnee nicht selber wegschaufeln oder die Hecke schneiden – das ist doch absurd. Diese Firmen sind nur gut im Marketing, international vernetzt, die eigentlichen Tätigkeiten aber vergeben sie in Sub weiter. Für mich ist das reine Maklerei. Wenn jemand Multidienstleistung ernsthaft anbietet, muss er die Dienstleistungen auch selber erbringen oder die entsprechenden Firmen unter Umständen dazukaufen, zum Beispiel eine Catering-Firma.
Wagner: Ob Multidienstleister oder Spezialist – der Kunde zahlt nur für kontinuierliche Qualität. Ich gebe Ihnen ja insofern recht, als einige große Firmen gar nicht in der Lage sind, Winterdienst selbst durchzuführen, sie wollen das auch nicht. Erstens ist es ein „Glücksgeschäft“, (abhängig von der Intensität der Schneefälle und Temperaturen) und zweitens können die Mitarbeiter nicht permanent vorgehalten werden. Auch wir können sogar mit einer eigenen Gesellschaft, die Hausdienste macht, im Winter nicht alle Objekte mit eigenen Mitarbeitern betreuen, sondern müssen für manche Bereiche, auch aus geografischen Überlegungen, Subverträge abschließen. Wir sagen das dem Kunden aber auch so. Grundsätzlich soll jeder Unternehmer versuchen, Geld zu verdienen – mit guter Qualität. Und wenn sich einer auf eine bestimmte Dienstleistung konzentrieren möchte und das gut macht, dann ist das hervorragend. Wir aber haben vor langer Zeit eben den Entschluss gefasst zu diversifizieren, um unser Leistungsportfolio im Bereich der Facility Services zu erhöhen, das Risiko zu minimieren und auch über Österreich hinauszugehen. Heute sind wir in Tschechien, der Slowakei, Rumänien, Kroatien und Serbien tätig, und das sehr erfolgreich. 53 Prozent des Umsatzes machen wir in Österreich und den Rest in den CEE-Staaten. Große österreichische Konzerne haben diesen Markt aufbereitet – letztlich auch für uns Dienstleister. Denn wenn man mit einer dieser Firmen schon jahrelang vertrauensvoll zusammenarbeitet, wird sie eher geneigt sein, einem auch einen Auftrag zum Beispiel in Tschechien zu geben – einem Dienstleister, den man jahrelang kennt und von dem man auch weiß, dass er in jeder Beziehung sauber arbeitet.
Sie sehen den betriebsinternen Vorteil der Diversifizierung und Risikostreuung?
Wagner: Ja. Gleichzeitig aber ist es auch der Kunde, der fragt, ob wir ihm nicht mehrere Dienstleistungen anbieten können. Man muss dann eben abwägen, ob man in der Lage ist, dies sowohl qualitativ als auch gewinnorientiert durchzuführen. Wenn ja, dann tun wir es auch. Marketing ist letztlich Bedarfsweckung. Das Netzwerken in Europa bringt uns Aufträge.
Marktanalysten prophezeien seit Jahren, dass der Trend immer mehr in Richtung großer Multidienstleister geht …
Wilken: Das mag schon sein. Und Sie, Herr Wagner, haben sicher sehr gute Gründe für Ihre Strategie, Sie haben Marketing-Synergien, Sie diversifizieren, streuen das Risiko – alles wunderbar. Was aber hat der Kunde davon? Den Nutzen für den Kunden kann ich nicht unbedingt erkennen.
Ein strategischer Grund für Multidienstleistung wurde ja schon genannt, nämlich dass es dann für den Kunden schwieriger wird, den Auftragnehmer einfach auszutauschen…
Wagner: Ja, natürlich ist das ein Motiv zu sagen, ich möchte für den Kunden wichtiger werden, es ist aber für den Kunden auch vorteilhaft, einen übergeordneten Ansprechpartner für mehrere Dienstleistungen zu haben.
Auch die Verantwortung des Multidienstleisters dem Kunden gegenüber wird mit steigendem Umsatzvolumen größer, da er – selbst bei einer größeren Auftragssicherheit – im Falle einer qualitativ mangelhaft erbrachten Einzeldienstleistung möglicherweise dennoch den Gesamtauftrag gefährden könnte.
Wilken: Dieses Ansinnen verstehe ich ja auch, mir geht es ja genauso, dass ich im Bereich Hausbetreuung versuche, alles zu machen, dass ich so weit als möglich auch das Spektrum der technischen Dienstleistung ausschöpfe im Rahmen des Gewerberechts. Aber dann noch irgendwas draufsetzen, zum Beispiel auch noch kochen oder dem Kunden auch noch einen Nachtwächter zur Verfügung stellen – das möchte ich nicht.
Wagner: Wenn Sie Multidienstleistung erbringen, haben Sie von der Kommunikation her mehr Möglichkeiten. Mir hat der Generaldirektor eines Konzerns kürzlich gesagt, sie werden in eineinhalb Jahren ihren Standort in Wien verlassen und nach Wiener Neudorf gehen – ob es uns interessiere, dort das Catering zu übernehmen. Wenn es von den Voraussetzungen her passt, ist das sofort ein Thema für uns. Schließlich haben wir 14 Jahre lang täglich 4.500 Essen für die Vereinten Nationen frisch gekocht. Der Konzern hat die Richtlinie, dass er das gar nicht machen möchte, er hat auch gar nicht die Leute dafür. Wir haben auch für multinationale Konzerne den gesamten Einkauf übernommen und organisieren Veranstaltungen.
Was würden Sie einem Junggeschäftsführer raten – soll er in die Multidienstleistung gehen oder bei seinem Kerngeschäft bleiben?
Wagner: Wenn er die Chance hat, einen Alternativauftrag in einem anderen Bereich zu bekommen und den gut zu machen, dann soll er es machen. So wie wir vor über 20 Jahren von der Stadt Prag die Chance bekommen haben, die Stadtstraßenreinigung, die dort total schlecht und veraltet war, zu übernehmen und zu modernisieren. Daraus ist dann eine Aktiengesellschaft entstanden, wo wir jahrelang hervorragend Geld verdient haben. Wobei natürlich die Frage der Stadt Prag war, ob wir uns mit Stadtstraßenreinigung auskennen würden. Ich habe dann den ehemaligen Chef der Wiener MA 48 gebeten, mir in Prag zu helfen. Das Glück kann also auch auf der Straße liegen. Wenn man glaubwürdig ist und als nächstes auch die Kompetenz rüberbringt und abwägt, ob man damit auch Geld verdienen kann, dann hat man schon die erste Stufe zum Multidienstleister geschafft – wenn man das überhaupt will. Wobei dies ein beinharter multinationaler Wettbewerb von Riesenkonzernen geworden ist.
Wilken: Wenn ich eine Firma gründe, mir einen ins Boot hole, der das Know how hat, und alles selber mache, dann scheint es mir eine Überlegung wert zu sein. Von meinen Mitbewerbern erlebe ich aber, dass sie das nur zu Marketing-Zwecken machen. Ich bin nicht in der Gebäudereinigung, um Aufträge zu verchecken bzw. einen guten Eindruck zu machen und die Aufträge dann an Subunternehmen weiterzuvermitteln. Das möchte ich nicht machen. Ich glaube auch, dass man als Firmenchef gut beraten ist, sich in den Dienstleistungsbereichen, die man anbietet, auch selber gut auszukennen. Wer verkaufen kann, kann alles verkaufen – das hat für mich keine Glaubwürdigkeit.
Definition „Multidienstleister“ nach Lünendonk
Marktforscher brauchen klar definierte und transparente Kriterien für ihre Studien und Berichte. So auch das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Lünendonk (D), um auszuweisen, wer ein „Multidienstleister“ bzw. ein Anbieter „Integrierter Services“ ist und wer nicht. Lünendonk beleuchtet dieses Thema in dem jährlich zur Immobilienmesse ExpoReal aufgelegten Facility-Management-Guide „Integrierte Services“ und listet darin auch die 25 führenden Anbieter Integrierter Facility Services in Deutschland auf.
Wer ist nun nach Lünendonk ein Multidienstleister und wer nicht? Unternehmen, die mehrere infrastrukturelle FM-Leistungen aus einer Hand anbieten, wie etwa Gebäudereinigung, Winterdienst, Sicherheitsdienste und Grünanlagen-Betreuung, sowie diejenigen, die das nur für den technischen Bereich machen, sind es noch nicht. Thomas Ball, der das Marktsegment Facility Management bei der Lünendonk GmbH betreut: „Für uns sind Multidienstleister nur diejenigen, die alle drei klassischen Säulen des Facility Management abdecken.“ Und zwar nach der Lünendonk-Systematik so, dass ein Unternehmen sowohl mit infrastrukturellen als auch mit technischen FM-Leistungen jeweils mindestens 10 Prozent vom Umsatzvolumen erwirtschaftet – plus auch kaufmännische Services anbietet, die zwar mindestanteilig nicht prozentuiert, aber zumindest im Leistungsangebot anteilig auch erkennbar sind. Zum Beispiel: 80 Prozent des Umsatzes mit infrastrukturellen, 20 Prozent mit technischen und 0,5 Prozent mit kaufmännischen Services – das würde Lünendonk zum „Multidienstleister“ bzw. „Anbieter Integrierter Services“ reichen. 95 Prozent des Umsatzes mit infrastrukturellen und nur 5 Prozent mit technischen Services – „das hingegen wäre uns zu wenig“, sagt Ball.
Die Auswahlkriterien für „Anbieter Integrierter Services“, die dem FM-Guide 2015 bzw. der Lünendonk-Studie „Führende Facility-Service-Unternehmen in Deutschland“ zu Grunde liegen:
- Mindestens 25 Prozent des Umsatzes werden mit Aufträgen erwirtschaftet, die mindestens drei Gewerke im Paket umfassen.
- Jeweils mindestens 10 Prozent des Umsatzes entfallen auf technische und infrastrukturelle Facility Services. Es werden auch Umsatzanteile mit kaufmännischen Services erzielt.
- Weniger als 66 Prozent des Umsatzes werden mittels Subdienstleister generiert. Dieses Kriterium ist so angelegt, dass unterschiedliche Eigenleistungstiefen möglich sind. Es soll ausgeschlossen werden, dass Unternehmen, die als Broker zwischen Auftraggeber und den operativ tätigen Unternehmen als integrierte Dienstleister verstanden werden.
Eine Antwort