Dr. Arno Sorger, Geschäftsführer der W.H.U. GmbH – Laboratorium für Wasseruntersuchungen und Hygiene, Bischofshofen, zur Situation der Küchenhygiene in Österreich.
Text: Hansjörg Preims
Die Situation der Küchenhygiene in Österreich stellt sich für den renommierten Hygieniker Dr. Arno Sorger, Geschäftsführer der W.H.U. GmbH, ambivalent dar: „Einerseits ist in Großküchen, vor allem bei den großen Caterern oder sonstigen größeren Gemeinschaftsverpflegungen, die Hygiene in der Regel tadellos. In den vielen kleineren Küchen wie in Restaurants und dergleichen ist es hingegen so, dass sicherlich sehr gut gekocht wird, dass aber im Kochstress die Nacharbeitungszeit oftmals entsprechend kurz bemessen ist und daher bezüglich Hygiene manches ein bisschen auf der Strecke bleibt.“
Bei einem großen Caterer sind auch die Arbeitsabläufe besser getrennt als in einer mittelgroßen bis kleinen Küche, wo oft einer alles machen bzw. schnell von einem Arbeitsplatz zum nächsten wechseln muss – und dazwischen eigentlich immer eine Händedesinfektion notwendig wäre. Ebenso müssen bei jedem Betreten der Küche als erstes die Hände desinfiziert werden. „Diese Dinge“, so Sorger, „müssen noch mehr in Fleisch und Blut übergehen.“ Eine weitere Unüberlegtheit, die er von fast jeder Küche kenne: „Wenn der Händedesinfektionsspender so aufgehängt ist, dass man ihn nicht mit dem Ellbogen bedienen kann, sondern ihn mit der Hand bedienen muss, wodurch Mikroorganismen paradoxerweise durch den Spender übertragen werden können.“
Küchenleitung muss mit gutem Beispiel vorangehen
Wobei man hier noch nicht von hygienisch kritischen Zuständen sprechen kann. Eine gewisse Hygienebasis wie zum Beispiel nach dem Arbeiten die Arbeitsfläche abwischen sei, wie Sorger feststellt, „in der Regel überall gegeben.“ Wirklich kritisch kann es jedoch dann werden, wenn Küchenpersonal erkrankt, beispielsweise an einer Noroviren-Infektion. Dann zeigt sich erst, ob die üblichen Hygienemaßnahmen wirklich ausreichen. Denn eine Person, die an einer Noroviren-Infektion erkrankt, ist bereits infektiös, auch wenn noch keine Symptome auftreten, sie merkt also zunächst nichts davon und arbeitet weiter. „Das heißt“, erklärt Sorger, „die Hygiene-Vorkehrungen müssen a priori so sein, dass keine Chance besteht, Speise mit diesen Viren zu kontaminieren, und hier gibt es da und dort doch noch oft Schwachpunkte in den Küchen, sprich: man pflegt doch nicht ausreichend die Händehygiene, man nimmt nicht immer ausschließlich frische Tücher zum Abwischen, sondern wischt mit dem gleichen Tuch die eine und dann die andere Fläche ab. Daher muss es also, wie gesagt, noch mehr in Fleisch und Blut übergehen, hygienisch so vorzugehen, dass es im Anlassfall kein Problem mehr ist.“ Es sei doch „ein wenig bequem“, im Nachhinein festzustellen, dass geschlampt wurde, vielleicht noch mit dem Zusatz, dass sich das halt nicht vermeiden lasse. „Das“, betont Sorger, „ist zum einen eine Thematik der Mitarbeiterschulung, sie betrifft aber auch sehr stark die Küchenleitung bzw. die Frage, wie sehr der Küchenchef auf seine Mitarbeiter schaut und wie sehr die Küchenleitung als Beispiel vorangeht.“
Es würden in Österreichs Küchen viele Hygienemaßnahmen getroffen, für ein „sicheres“ Lebensmittel sei es aber „nicht wichtig, wie viel insgesamt desinfiziert wurde, sondern welche hygienisch relevanten Punkte NICHT desinfiziert wurden“, so Sorger. Vielleicht werde an manchen Stellen sogar mehr gemacht, als notwendig und zielführend sei, aber eben nicht immer durchgehend, sodass es an manchen wichtigen Punkten dann doch mangele. Aus hygienischer Sicht die große Unbekannte sei auch noch immer, wie es nach der Übergabe von der Küche an das Servierpersonal weitergehe, denn das Servierpersonal desinfiziere sich meistens weder die Hände noch arbeite es mit entsprechenden Reinigungs- und Desinfektionstüchern, sondern: „Hier wird oft sogar noch das klassische Geschirr-Hangerl verwendet, mit dem alles gemacht wird und das einmal am Tag (oder sogar noch seltener?) gewechselt wird.“
Geschirrspülmaschinen und Hygiene
Ein wichtiges Hygienethema sind auch die Geschirrspülmaschinen. Arno Sorger: „Im Krankenhaus oder bei großen Caterern gibt es große thermisch desinfizierende Bandmaschinen. Sehr weit verbreitet – auch in kleineren Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung wie z.B. Kureinrichtungen oder Pflegeheimen – sind aber Haubenspülmaschinen, die innerhalb von drei oder vier Minuten eine komplette Geschirrwäsche machen. Das ist sowohl für eine thermische als auch für eine chemothermische Desinfektion schon kritisch.“ Und man dürfe nicht übersehen: Optisch sauber bedeute nicht, „frei von Mikroorganismen“. Auch die derzeit so gern verwendete „Gesamtreduktion an Mikroorganismen“ erfülle nicht den mitteleuropäischen zweistufigen Hygieneansatz, der besage, „dass in einer ersten Stufe eine Reinigung erfolgt, in der ein Großteil des Schmutzes und der Großteil der Mikroorganismen entfernt werden, und in einer zweiten Stufe die verbleibenden (potentiell gesundheitsschädlichen) Mikroorganismen durch Desinfektion (Hitze, Chemie) inaktiviert werden.“ Eigentlich, besage die Großküchenleitlinie, „dass Geschirr vorzugsweise thermisch zu desinfizieren ist. Das ist aber energieaufwendig, und die chemothermische Desinfektion als Alternative hierzu werde selten konsequent umgesetzt. „Man kann“, so Sorger, „natürlich jetzt argumentieren, dass in der Leitlinie steht: ,Wenn eine Desinfektion als erforderlich erachtet wird’, aber ehrlich: Fühlen Sie sich wohl, wenn Sie von einem Teller essen, auf dem noch die Mikroorganismen aus dem Mund des letzten Anwenders vorhanden sind?“
Warum ist es „unüblich“, das Geschirr thermisch zu desinfizieren? Sorger: „Einerseits nimmt natürlich die Chargenzeit ein bisschen zu. Thermische Desinfektion bedeutet bei einer Spülmaschine, dass das frische Nachspülwasser so heiß sein muss, dass man am Geschirr eine Temperatur von 80 Grad erzielt. Wenn man nun im Hauptspülgang mit 60 Grad wascht, muss also noch einmal entsprechend aufgeheizt werden, bis man auf die erforderliche Temperatur kommt – das dauert mindestens 15 Sekunden und man braucht hierzu fast 90 Grad heißes Wasser, das dann noch einmal mindestens 30 Sekunden drüberspült.“ Und das verbrauche natürlich entsprechend Energie. 90 Grad seien für die meisten Spülmaschinen zusätzlich auch eine Herausforderung: „Um 90 Grad im Tank zu haben, muss man am Heizstab doch 100 Grad haben, da kocht das Wasser aber bereits. Und eine Vergrößerung der Heizfläche ist teuer und nicht einfach möglich.“ Bei der chemothermischen Desinfektion müsse man entsprechende Produkte (meist auf Chlorbasis) zusetzen, wodurch man dann den typischen Chlorgeruch in der Küche habe und gleichzeitig auch der AOX-Wert – eine Maßzahl für Chlorverbindungen im Abwasser – ansteige. So sollen laut Sorger in nächster Zeit Alternativprodukte auf Basis von Peroxid oder Sauerstoffabspaltern auf den Markt kommen, die bezüglich AOX-Wert und dem Geruch weniger Probleme bereiten – „aber diese neuen Produkte müssen sich erst in der Praxis bewähren.“
Heikle Bereiche „Kalte Küche“ und Küchenbekleidung
Ein ganz heikler Bereich in diesem Zusammenhang ist zum Beispiel auch die Kalte Küche. Er, Sorger, kenne einige Küchen, in denen das Geschirr der Kalten Küche (z.B. Kunststoffschüsseln, in denen Cremen zubereitet werden, oder Gebinde, die zu groß für die Spülmaschine sind) nie ordentlich gewaschen, sondern nur manuell, ohne Desinfektion, ausgespült werde. Gerade in der kalten Küche könne es also hygienische Probleme geben, wenn zwar die Arbeitsfläche desinfiziert werde, aber die Schüssel nicht.
Wichtiges Thema ist in diesem Zusammenhang auch die Küchenbekleidung. „In sehr großen Küchen wird die Bekleidung meistens von einem zertifizierten externen Dienstleister gut aufbereitet. Aber ab der mittleren Küchengröße, auch noch im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung, wird es interessant“, sagt Sorger, „denn: Ist die Wäsche nach den Vorgaben für Lebensmittelbetriebe gestaltet? Wer wäscht die Wäsche? Werden beim Waschen hygienisch relevante Mikroorganismen inaktiviert? Ist immer ausreichend Wäsche vorhanden? Wie oft wird die Kleidung gewechselt? Wo ziehen sich die Leute um (Daheim? In einem eigenen Umkleideraum für das Küchenpersonal in unmittelbarer Nähe zum Küchenbereich?)?“ Auch die Kopfbedeckung sei ein interessantes Thema: Hier würden oft modische Aspekte in den Vordergrund gestellt, und es würde übersehen, dass der Sinn der Kopfbedeckung das Bedecken der Haare sei. Und: „Bart tragen ist derzeit modern. Es wird verlangt, dass ein Kopfschutz getragen wird, aber wie ist das beim Bart? Es gibt auch einen Bartschutz – in anderen Bereichen, z.B. in Pharmabetrieben oder großen Lebensmittelbetrieben, ist das Tragen eines Bartschutzes selbstverständlich. In Küchen ist es aber bisher doch unüblich.“
Kleiner Umbruch bei Desinfektionsmitteln in der Küche
Bei den Desinfektionsmitteln in der Küche ist laut Sorger ein kleiner Umbruch zu erwarten bzw. im Gange: „Man hat in Österreich eigentlich immer die gleichen Desinfektionsmittel verwendet wie für den medizinischen Bereich. Allerdings gibt es in der Küche speziellere Anforderungen, weil die Schad-Mikroorganismen in der Küche ja nicht die gleichen sind wie im Krankenhaus. In der Küche geht es neben Infektionserregern vor allem auch um Lebensmittelverderb, z.B. Verschimmeln von Lebensmitteln. Eine ausreichende Wirkung gegen Schimmelpilze haben aber die meisten Desinfektionsmittel, die im Krankenhaus eingesetzt werden, nicht bzw. nicht ausreichend.“ Wenn diese Desinfektionsmittel dann im Lebensmittelbereich eingesetzt würden, könne diese Wirkungslücke zu Problemen führen. Deshalb werde man vermehrt in Richtung Wirksamkeit gegen Schimmelpilze gehen und dafür vielleicht andere Wirksamkeitsgruppen nicht mehr in den Vordergrund stellen. Eine andere Frage sei, ob das Desinfektionsmittel auch im Kühlraum in der Kälte wirke. Die ÖGHMP, die die Desinfektionsmittelliste herausgibt, habe daher eine eigene Liste für den Lebensmittelbereich geschaffen, wo eben genau auf solche Dinge geachtet werde bzw. ausgewiesen sei, „wirkt auch gegen Schimmelpilze“ (sprich: „fungizide Wirkung“) oder „wirkt auch bei 10 Grad im Kühlraum“.
Mehr qualifizierte Schulungen notwendig
Nach dem derzeitigen System ist einmal im Jahr eine Hygieneschulung für Küchenpersonal vorgeschrieben. Meistens sind das betriebsinterne Schulungen, wo auf Händewaschen, -desinfizieren und saubere Kleidung hingewiesen wird – „und damit ist die Sache erledigt“, bemängelt Sorger. „Das heißt, es müsste hier einen stärkeren Zwang zu qualifizierten – z.B. externen – Schulungen der Mitarbeiter bei einer anerkannten Institution geben.“ Das, so Sorger, würde einen ganz anderen Effekt haben, denn dann gebe es immer einen Außenstehenden, der vielleicht neue Erkenntnisse einbringe und nicht nur sage, „dass alle sowieso brav sind und außerdem alles nicht so einfach ist“.
Gute Hygienepraxis und HACCP
Es gibt im Wesentlichen zwei Leitlinien, die in den Bereich Küchenhygiene hineinwirken und die sehr gute Vorgaben geben: die „Hygieneleitlinie für Großküchen“ und die „Hygieneleitlinie für Einzelhandel“. Eine rechtliche Verbindlichkeit dieser Leitlinien ist zwar nicht gegeben, „sie zeigen aber einen sehr guten Weg für die Umsetzung der EU-Lebensmittelhygieneverordnung“, sagt Arno Sorger. „Sie demonstrieren auch gut die richtige Betrachtung des HACCP-Konzepts.“ Vor 20 Jahren habe man teilweise versucht, die gesamte Hygiene in das HACCP-Konzept hineinzubringen, jetzt sei das korrekterweise gut aufgetrennt: „Wir haben die ,Gute Hygienepraxis’ und das HACCP-Konzept. Und diese Trennung hat dem HACCP sehr gut getan. In kleinen Küchen wurde früher gerne ein ,Pseudo-HACCP-Konzept’ alibimäßig umgesetzt. Wenn ein durchdachtes Konzept für die ,Gute Hygienepraxis’ besteht, bleiben nur noch ganz wenige Control points des HACCP-Konzepts übrig, an denen aber auch wirklich ,gelenkt’ (und natürlich auch dokumentiert) wird.“ Manchmal komme man in kleinen Küchen sogar ohne Control points aus. Gerade bei kleineren Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung gebe es aber oft noch Lücken in der Dokumentation. „Rezeptkarten (oder vergleichbares), anhand deren die verwendeten Lebensmittel inkl. Charge nachvollzogen werden können und auch belegt wird, dass der Control point (bei einem durchdachten HACCP-System gibt es in der Herstellungskette nur ganz wenige Control points!) – z.B. ausreichend langes Kochen – tatsächlich eingehalten wurde, sind noch immer nicht durchgehend üblich. Bei großen Caterern funktioniert das, aber in vielen Küchen, die Pflegeheime oder Kindergärten versorgen, ist das in dieser Form noch nicht umgesetzt“, so Sorger abschließend.