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„Investieren Sie in Ihre Personalabteilungen!“

Ist der Personalmangel lösbar? Vortrag von AMS-Vorstand Johannes Kopf am ReinigungsTag 2024 (*)

Ist der Personalmangel, das Thema Personalknappheit lösbar? Um die aktuelle Situation zu erklären, schauen wir uns die Arbeitsmarkt-Entwicklung an. Um dann aber auch zur Zukunft der Arbeit zu kommen, da letztlich Personalarbeit sich ja sehr viel auch damit beschäftigt, wie es morgen sein wird, welche Veränderungen es geben wird, wie sich die Profile auch in Ihrem Bereich verändern werden.

Personalarbeit wird einfach ungleich wichtiger, als sie es früher war. Da kommen viele Firmen drauf, dass sie in Wirklichkeit Abteilungen haben, die bisher sehr gut Personalverrechnung gemacht haben, aber nicht Personalentwicklung, Stichwort Employer Branding, wo bisher vielfach einfach kein Know how da war.

Zur Veränderung der Arbeitslosigkeit seit 2009 (s. Folie 1): 2009, Lehman Brothers, Wirtschaftskrise, Finanzkrise – da stieg die Arbeitslosigkeit ungefähr um ein Drittel, mit Höchststand 72.000. Das war in der Vergangenheit bis zum Jahr 2020 das Jahr der großen Krise am Arbeitsmarkt und in dem Sinn einschneidend. 2009 war somit auch das Jahr, in dem die Kurzarbeitsförderung sehr bekannt geworden ist. Selbst der amerikanische Präsident Obama hat das deutsche Wort Kurzarbeit als Best Practice Beispiel genannt. Damals waren 600 Betriebe und 60.000 Menschen vor allem in der Industrie in Kurzarbeit.

Folie 1: Die Zahl der Arbeitslosen + Schulungsteilnehmer_innen – absolute Veränderung zum Vergleichsmonat des Vorjahres Jänner 2009 bis September 2024

Kurzarbeit ALT und NEU

Kurzarbeit ist seinerzeit für Naturkatastrophen erfunden worden, Beispiel Donau-Hochwasser 2002, eine Firma überschwemmt, und bis die Halle wieder gereinigt war und die Maschinen wieder funktionierten, war Kurzarbeit eine gute Überbrückungsmöglichkeit. Und 2009 hat man man dann das, was mit Lehman Brothers und Finanzkrise passiert war, als sowas Ähnliches wie eine Naturkatastrophe gesehen und gesagt, nehmen wir doch diese Förderung der Kurzarbeit. Und das war eine gute Förderung, die auch weltweit aufgefallen ist, weil diese Krise erstaunlich schnell wieder vorbei war. 2010 hatten wir schon wieder über 2% Wachstum. Die Wirtschaft wuchs wieder und die Kurzarbeitsförderung hatte den wesentlichen Vorteil, dass die Firmen die Leute behalten haben und sofort wieder Dienstleistungen erbringen konnten bzw. weniger Ausfallstunden machten.

2010 – 2011 sank die Arbeitslosigkeit, dann kamen wachstumsschwache Jahre in Österreich, 2012 bis 2016, vier Jahre lang ein Wirtschaftswachstum unter 1 %. Was wirklich wenig war, da die Bevölkerung deutlich über 1 % gestiegen ist. Und mehr Leute brauchen ja auch mehr Güter und mehr Dienstleistungen. In der Zeit stieg die Arbeitslosigkeit deutlich, fünf Jahre lang, und erst 2017 ging die Arbeitslosigkeit wieder zurück, die Wirtschaft erholte sich. 2017 – 2019 waren, glaube ich, gute Jahre.

Dann kam der März 2020, die Arbeitslosigkeit stieg in der zweiten Märzhälfte in 14 Tagen um 200.000 Menschen! Im April waren es sogar um 210.000 mehr Arbeitslose. Dann stieg die Arbeitslosigkeit weniger stark, und das war auch das Jahr, in dem die Kurzarbeit zurückgekommen ist, die NEUE Kurzarbeit, sprich: Es gab eine völlig neue Förderung, für die gab es kein Gesetz, keine Richtlinie, keine EDV-Unterstützung, es gab kein Antragsformular, keine Berechnungstools und es gab ungefähr 1000 Rechtsfragen, vor allem steuerrechtliche Fragen usw., aber die neue, sehr attraktive Förderung wurde vorgestellt und konnte eine knappe Woche später auch beantragt werden.

Zum Vergleich: 2009 waren 60.000 Menschen in Kurzarbeit, 2020 waren es 1,3 Millionen. Und zwar nicht in 600 Betrieben, sondern in 120.000 Betrieben. Diese Vorgeschichte ist wichtig, weil diese Kurzarbeit und Corona auch mit uns als Gesellschaft viel gemacht hat, auch mit der Frage, wie viel wir arbeiten wollen, was junge Menschen wollen. Da hat sich viel verändert. Im Februar 2021 stieg die Arbeitslosigkeit noch um ungefähr 100.000, im März sank sie um 100.000. Was ist dazwischen passiert? Gar nichts. Es liegt nur an dem Vorjahresvergleich, warum die Arbeitslosigkeit plötzlich sinkt. Soll heißen, der März 2021 war der erste Monat, wo wir uns mit einem Corona-Monat verglichen haben, und darum ist die Arbeitslosigkeit gesunken. Die Arbeitslosigkeit sank erwartungsgemäß, sie sank auch im April 2021. Und im Mai gefragt, wie lange es dauern werde, bis wir so niedrige Arbeitslosenzahlen hätten wie vor Corona, sagte das Wifo, ungefähr bis 2025. Ich war mutiger und habe gesagt, das könnte schon 2023 sein, lag aber auch falsch, denn tatsächlich war es schon im September desselben Jahres so weit, dass wir wieder so niedrige Arbeitslosenzahlen hatten wie vor Corona.

ArbeitnehmerInnenmarkt

Die Arbeitslosigkeit sank deutlich und auch viel länger, als wir geglaubt hatten. Und das führte dazu, dass wir 2021 mit mehr als einer halben Million Arbeitslosen in Österreich begannen, und am Ende des Jahres sprachen wir schon von Arbeitskräftemangel. Und zwar nicht von Fachkräftemangel, sondern wir reden von Arbeitskräftemangel – im selben Jahr, in dem wir mit Massenarbeitslosigkeit begonnen hatten. Eine unglaubliche Veränderung. Dass wir 2021 ein tolles Wirtschaftswachstum haben würden, hatten wir erwartet, klar, wenn ich alles zusperre und dann aufsperre, habe ich ein starkes Wirtschaftswachstum. Aber dass wir 2022 auch noch 5% Wirtschaftswachstum haben würden, hatte niemand geglaubt, die Arbeitslosigkeit sank deutlich, so stark, dass die Arbeitslosenzahlen so niedrig waren wie zuletzt 2008. Und das führte zu Veränderungen, zu Bewegungen und auch zu etwas, was wir lange nicht hatten, nämlich zu einer Art Arbeitnehmerinnen-/Arbeitnehmermarkt, wo man dann nicht mehr auf eine Stelle 100 Bewerbungen hat, sondern sich überlegen muss, was man macht, wenn sich für eine offene Stelle nur drei Ungeeignete bewerben.

Jetzt haben wir leider schon längere Zeit wieder Rezession, die Arbeitslosigkeit steigt, aber sie steigt nicht so stark. Das heißt, wir haben im langfristigen Vergleich noch immer eine relativ niedrige Arbeitslosigkeit. Sie steigt aber schon ungefähr um 10%, Monat für Monat. Und sie steigt jetzt schon länger. In der Industrie sind wir jetzt das dritte Jahr in der Rezession. Eine eine schwierige Situation, auch politisch, der Staat muss sparen, für eine Konjunkturbelebung gibt es nicht viel Handlungsspielraum.

Wir werden mehr auf unserem Arbeitsmarkt 

So weit die einleitende Situation, weil in diesem Gefüge vieles, was kommt, besser zu verstehen ist. Werden wir mehr auf unserem Arbeitsmarkt oder weniger? Wir werden mehr. Das ist schon einmal nicht selbstverständlich, denn wir haben in Europa Länder, da werden es weniger, zum Beispiel Osteuropa, wo sehr viele Leute weggehen und die Demographie schlecht ist. Aber es gibt auch schon westeuropäische Länder, wo aufgrund der Demographie die Menschen weniger werden. Das heißt, es gibt mehr 65-Jährige als 15-Jährige, und wenn mehr in Pension gehen als nachkommen, wird die Menge an Arbeitskräften weniger. Wir werden aber noch mehr – wegen der Zuwanderung. Wir hatten im Jahr 2011 auf unserem Arbeitsmarkt 60.000 Menschen mehr als 2010. Und „am Arbeitsmarkt“ heißt entweder beschäftigt oder arbeitslos – die Summe an Personen, die am Arbeitsmarkt sind.

2011 waren es also 60.000. 2004 waren 10 Länder zur EU dazu gekommen: Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern. Die durften aber nicht gleich in der Reinigung arbeiten, sondern es gab 7-jährige Übergangsfristen, der Arbeitsmarkt war aber schon erleichtert, zuerst  für besonders gut Qualifizierte, dann gab es eine Liste mit 60 Berufen usw. Und wirklich ganz offen war der Arbeitsmarkt erst im Mai 2011. Deshalb sind dann 2012, im ersten Jahr der vollständigen Öffnung des Arbeitsmarktes, am meisten zu uns gekommen,  in einem Jahr fast 30.000 Personen aus diesen zehn EU Ländern. Die meisten von ihnen aus Ungarn. Bis August 2023 waren die Deutschen die größte Ausländergruppe am österreichischen Arbeitsmarkt. Dann haben die Ungarn die Deutschen überholt.

Folie 2:  Veränderung des Arbeitskräftepotentials nach Nationalitäten gegenüber dem Vorjahr

Ab 2015 sind es vor allem geflüchtete Personen, die zu uns gekommen sind. Am meisten waren es 2018 und dann 2023. Und auch das inländische Arbeitskräfteangebot ist größer geworden. Was merkwürdig ist, weil auch wir mehr 65-Jährige als 15-Jährige haben. Aber die Frage, wie viele Leute am Arbeitsmarkt sind, wird ja nicht nur beantwortet durch die Frage, wie viele 65 und 15 sind, sondern auch durch die Frage, wie viel Leute überhaupt arbeiten wollen – und möglicherweise auch arbeiten MÜSSEN, so wie im Jahr 2015 nach der Verschärfung der sogenannten Hacklerregelung, dieser Langzeitversichertenregelung, als Leute länger haben bleiben mussten. Das heißt, durch Eingriffe in das Pensionssystem kann man natürlich die Menge an Personen, die am Arbeitsmarkt sind, verändern.

2021 nahmen die Ausländer am Arbeitsmarkt ungefähr um 40.000 zu. Aber in Summe werden es weniger, übrig bleiben dann nicht einmal mehr 15.000. Warum? Das war das erste Jahr, wo das inländische Arbeitskräfteangebot weniger geworden ist. Das 21er Jahr war das erste Jahr, wo man plötzlich ganz stark auch einen Personalkräftemangel gemerkt hat – weil es viel Wachstum gab und gleichzeitig das Arbeitskräfteangebot nicht so stark wie in den Vorjahren gestiegen ist. Und das ist vor allem für Branchen, die auch Fluktuation haben, ein Riesenthema, auch die Reinigungsbranche braucht laufend neue Leute. Die ersten, die geklagt haben, dass sie keine Leute finden, war der Tourismus.

Ins Pensionssystem eingreifen!

2022 mit dem Wirtschaftswachstum wuchsen die Personen aus dem Ausland so stark wie noch nie, über 60.000 Personen. Die Inländer sanken wieder um 26.000. Dann, mit 1. Januar 2024, passierte etwas, das uns jetzt sehr hilft in der Frage, Arbeitskräfte zu finden: das Frauenpensionsalter steigt, jedes Jahr um ein halbes Jahr. Und das ist ein Glück. Nicht deswegen, weil die Politik so mutig wäre und die Erkenntnis hätte, dass man jetzt im Pensionssystem etwas machen müsste. Obwohl es notwendig wäre, ins Pensionssystem einzugreifen. Und zwar deutlich. Wir leben einfach viel länger, und das Pensionssystem lässt sich zunehmend so nicht mehr finanzieren. Heute zahlen drei Beschäftigte Beiträge, ein Pensionist nimmt raus. Das Verhältnis ist 3,1 zu 1. Im Jahr 2050 wird das Verhältnis eins zu zwei sein.

Mit dem Anstieg des Frauenpensionsalters ist aber plötzlich ein Arbeitskräftepotenzial am Markt, das sonst nicht am Markt wäre – rund 15.000 Personen pro Jahr zusätzlich. 

Herzliche Einladung übrigens an Ihre Branche: Denken wir doch darüber nach, gemeinsam eine Kampagne zu starten, damit Reinigungszeiten auch kinderfreundlicher sind und nicht an den Randzeiten – in der Früh ein bisschen und dann am Abend wieder. Da müssen sich aus meiner Sicht auch Kunden umstellen.

Also kein Problem? So viele Arbeitskräfte brauchen wir eh nicht? Das große ABER ist das Wirtschaftswachstum. Das Wifo sagt für nächstes Jahr 1% voraus, die Arbeitslosigkeit steigt weiter. Und jetzt haben wir leider das eigentliche Problem: Obwohl wir mehr werden, arbeiten wir nicht mehr. Verglichen mit vor Corona haben wir zwar über 100.000 mehr Beschäftigte in Österreich. Wenn ich mir aber die Stundenanzahl anschaue, die wir alle gemeinsam arbeiten, kommt so viel raus, als wären wir 100.000 Vollzeitäquivalente weniger. Und das liegt daran, dass der / die Einzelne weniger arbeitet. Wir haben eine deutliche Arbeitszeitverkürzung. 1995 haben die Arbeitenden im Durchschnitt 1641 Stunden gearbeitet, jetzt liegen wir bei 1426 Stunden.

Auch die durchschnittliche Arbeitszeit sinkt jetzt, zu 3/4 aufgrund der Männer. Männer arbeiten weniger Stunden als früher. Beim AMS haben wir mittlerweile Tausende offene Stellen, bei denen steht „Vollzeit“ und dann steht drunter „auf Wunsch auch Teilzeit möglich“. Diese Stellen gab es so früher nicht. Früher, wenn Sie sich auf eine Vollzeitstelle beworben und gesagt haben, Sie wollten aber nur 30 Stunden arbeiten, hat der Personalverantwortliche zu Ihnen gesagt: Können Sie nicht lesen? Jetzt sagt er: Ja, gern. Das hat sich massiv geändert. Tausende Stellen, wo Leute ihre Arbeitszeit selber frei wählen können und der Betrieb dankbar ist, dass er jemanden kriegt.

Erfolgreiche Impulsberatung des AMS

Da haben sich Dinge massiv verändert. Wir haben als AMS eine Fördermaßnahme, die heißt Impulsberatung. Jedes Jahr beraten wir über 1000 Betriebe. Und das große Thema des Jahres 2022 und 2023 war die Arbeitgeberattraktivität. Das beginnt bei ganz simplen Dingen wie der Inseratengestaltung. Beispiel: großer österreichischer Betrieb sucht LKW-Fahrer und findet keinen Wir haben dann nichts anderes getan, als das Inserat umgeschrieben, ohne die Bedingungen verändert zu haben. Da stand zum Beispiel ein Bruttolohn von so und so viel, und wenn Sie in der Nacht fahren, kommt so viel dazu. Wir haben dann nichts anderes getan als das alles rausgestrichen und einen Mindestnettolohn reingeschrieben. Ergebnis: Doppelte Anzahl an Bewerbungen, weil die Leute es nicht mehr verstanden hatten, vor allem im migrantischen Bereich. Auch ein wunderbares Beispiel dabei aus Ihrer Branche: Ein Reinigungsunternehmen aus Niederösterreich hat lauter migrantische Reinigungskräfte, nur Frauen, reinigen öffentliche Gebäude und Firmen, aber mit inländischen Objektbetreuern. Und man fand keine Objektbetreuer mehr. Diese Firma hat sich an uns gewandt, und wir haben dann nichts anderes getan, als uns in der Firma das Potenzial der Reinigungskräfte angeschaut. Einfach sauber durchgeschaut. Wer ist das? Was können die? Sind die motivierbar oder nicht? Im Endeffekt sind sechs Frauen übrig geblieben, die mit einer halbjährigen Schulung zur Objektbetreuerin wurden. Die Situation im Betrieb hat sich maßgeblich verbessert, denn erstens einmal gibt es plötzlich Objektbetreuer, die die Sprache der Reinigungskräfte sprechen, und zweitens ist plötzlich die gläserne Decke weg.

Arbeitszeitvolumen sinkt wegen Teilzeit

Mögliche Potenziale an zusätzlicher Arbeitskraft

  • Länger arbeiten 
  • Frauenbeschäftigung
  • Ausländische Staatsangehörige 
  • Ukraine – KON/SUB
  • Drittstaatsanwerbung
  • Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen
  • (Lehrlings-)Ausbildung
  • Eigene Belegschaft (Qualifizierungsförderung für Beschäftigte) 
  • Automatisierung, KI
  • Arbeitslose Personen

Keiner dieser Punkte ist leicht. Und es gibt auch nicht EINE Lösung. Glauben Sie nicht, wenn Ihnen jemand erzählt, wir würden das Problem Fachkräftemangel durch Zuwanderung lösen. Wird nicht reichen. Wir sind nicht konkurrenzfähig, was Zuwanderung betrifft, verglichen mit anderen Ländern, was Drittstaatsmigration betrifft. Deutschland hat etwa im Pflegebereich Kooperationen, wo sie auf den Philippinen riesige Pflegeschulen bauen, und die Hälfte aller AbsolventInnen, nachdem sie während der ganzen Pflege und Schule Deutschunterricht hatten, werden dann angesprochen, nach Deutschland zu kommen. Da kommen wir nicht mit. Auch von unseren Kapazitäten nicht. Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen, um Arbeitskräftemangel, Demografie und Arbeitszeitverkürzung entgegenwirken zu können. Länger arbeiten heißt für die Betriebe: gesunde Arbeitsplätze, veränderte Arbeitsplätze, vernünftige Arbeitszeitregelungen, Ältere können schlecht mit Schichtarbeit umgehen, diese Themen. Zur Frauenbeschäftigung, habe ich schon gesagt – da sind flächendeckend Ganztages-Kinderbetreuungsangebote die wichtigste Maßnahme. Da geht es nicht nur darum, ob eine Frau überhaupt arbeitet, sondern geht es um die Frage, wie viel Stunden. 

Es gibt Bürgermeister, die probieren es aus, zunächst einmal für sechs Monate, das wird aber nicht angenommen, denn niemand verändert sein Leben nur auf Verdacht hin, nur weil der Bürgermeister etwas ausprobiert. Aber es gibt auch Gemeinden, die aufsperren, auch wenn nur drei Kinder da sind. Ich kenne zwei Gemeinden, die haben im zweiten Jahr die zweite Gruppe eröffnet. Denn wenn es die Nachbarin macht, wenn es da üblich ist, wenn das Angebot eh gut ist, dann wird die Veränderung auch angenommen. Es hat auch noch etwas mit Shaming zu tun. Du willst doch selber nicht, dass dein Kind das einzige am Nachmittag ist, das bis halbfünf bleibt.

Thema Ausländische Staatsangehörige. Ich sage es ganz offen, wenn ich nicht die ideal ausgebildete Fachkraft aus irgendeinem Drittstaat bekomme, dann muss ich mir eben überlegen, ob ich nicht die, die hier sind, besser nützen kann. Und wir haben sehr viele Geflüchtete hier. Die sind leider sehr ungleich verteilt. Wir haben wenige 100 Flüchtlinge, die arbeitslos gemeldet sind, in Kärnten, in Tirol, in Salzburg. Wir haben 2000 in Oberösterreich, 2500 in der Steiermark und 35.000 in Wien. Zum Vergleich: Wien hat eine Arbeitslosenquote von mehr als 10%, Oberösterreich und Salzburg haben drei Komma irgendwas. Diese ungleiche Verteilung ist ein Thema, mal schauen, ob eine nächste Regierung sich auch mit so Fragen wie Residenzpflicht beschäftigt. Wir haben als AMS momentan das Problem, dass die Leute an dem Tag, an dem sie Asyl kriegen, nach Wien fahren. Es gibt verschiedene Gründe dafür, auch eine bessere Sozialhilfe. 

Gute Erfahrungen mit Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen

UkrainerInnen sind auch hier, und wir tun uns sehr schwer, sie zum Arbeiten zu motivieren. Das sind ungefähr 15.000 Personen, die noch zusätzlich arbeiten könnten, die aber gar nicht zum AMS kommen – weil das einfach nicht geplant ist, wirtschaftlich nicht notwendig oder was auch immer. Auch da muss man sich etwas überlegen. Die sind noch immer sehr stark rückkehrorientiert. Da sind teilweise auch junge Männer dabei, wenn wir die zum Beispiel für eine Lehrstelle motivieren, sagen sie nein, das gehe nicht, sie könnten nichts anfangen, was drei Jahre dauere, sie seien ja in drei Monaten zu Hause. Wir wünschen das diesen Menschen doch auch, aber die sind jetzt schon seit mehr als zwei Jahren hier und glauben, dass sie in drei Monaten heimfahren. Möglicherweise wird da auch sehr viel Zeit verloren, die eigentlich sinnvoll wäre, um hier ein Leben aufbauen zu können, um die Sprache zu lernen usw.

Mit Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen haben wir gute Erfahrungen. Es gibt enorm gute Hilfsmittel mittlerweile. Es gibt auch sehr ordentliche Förderungen für Umbau, wenn Sie Menschen mit Behinderungen einstellen. Und es ist immer das Gleiche: Die Betriebe haben zunächst große Sorge, große Hemmnisse, auch Überlegungen, ob sie das schaffen, ob sie das können. Und wenn wir eine Person vermittelt haben, dann sagen sie, „war eigentlich nicht schwer, wir nehmen auch einen zweiten.“

Politisches Streitthema Sozialleistungen

Nimmt und jetzt die KI die Jobs weg? Werden wir keine Arbeit mehr haben? Diese Frage ist 200 Jahre alt. Das erste Mal wurde sie gestellt, als die Dampfmaschine erfunden wurde, dann bei der Eisenbahn und bei der Elektrizität. Jedes Mal haben viele Menschen ihren Job verloren. Am Anfang waren es die Weberinnen, die Stoffe hergestellt haben, wo dann der dampfbetriebene Webstuhl so viel produzieren konnte wie 1000 Frauen in Heimarbeit. Bei der Eisenbahn haben die Kutscher den Job verloren. Immer hat es diese Veränderungen gegeben. Aber am Schluss war es immer so, dass mehr Arbeit da war als vorher. Das heißt, momentan glaube ich nicht, dass uns die Arbeit ausgeht. 

Der Unterschied zwischen arbeiten und nicht arbeiten ist im Zusammenhang mit den Sozialleistungen sehr gering. Ein politisches Streitthema ist immer, wie man Armut wirksam verhindert und gleichzeitig den Arbeitsanreiz hochhält. Hier eine kluge Lösung zu finden, ist nicht einfach.

Flexibler, digitaler, internationaler, ökologischer

Wie werden wir morgen arbeiten? Flexibler, digitaler, internationaler, ökologischer. Das ist es. Am schönsten ist aus meiner Sicht das Wort Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. 2018 -2019 hat man unter Flexibilisierung des Arbeitsmarktes bzw. Arbeitszeitflexibilisierung den Zwölf-Stunden-Tag verstanden, das war damals die Kampfdiskussion WKÖ gegen ÖGB. Der Zwölf-Stunden-Tag lief unter dem Motto Arbeitszeitflexibilisierung. Wenn Sie heute von flexiblen Arbeitszeiten reden, meinen Sie nicht den Zwölf-Stunden-Tag, sondern Sabbatical, Teilzeit, Papamonat, Homeoffice. So hat sich der Arbeitsmarkt verändert. Die Flexibilität ist auch eine Folge der Digitalisierung. Wir als AMS erlauben uns zumindest dort, wo nicht unmittelbar die Kundendienstleistung am Schalter zu erbringen ist, bis zu zwei Tagen Homeoffice – was ich sehr liberal finde.

Also die Veränderungen sind herausfordernd, internationaler. Es ist gerade ein Podcast mit mir aufgenommen worden, da habe ich mit meiner polnischen Kollegin über die Integration der Ukrainerinnen gesprochen, sie war in Warschau, ich war in Wien, der Auftraggeber war die Europäische Kommission in Brüssel, das Tonstudio war in Berlin und der Moderator war im Homeoffice in London.

Ökologischer: Der Standard-Bericht aus meiner Sicht zum Thema, wie ein klimafreundliches Leben ausschauen kann, der APCC-Report, sagt voraus, dass 80% unserer Arbeitsplätze sich irgendwie ändern werden, Zusatzqualifikationen brauchen. Das alles führt zu einem höheren Qualifikationsbedarf bei den Beschäftigten. Und auch darüber müssen wir uns Gedanken machen: Was ist unser System, um Österreichs Beschäftigte höher qualifizieren zu können, auch in den Bereichen Digitalisierung und Ökologisierung?

Wie kann das AMS möglicherweise zur Qualifizierung von Beschäftigten künftig noch stärker beitragen als bisher? Ja, das sollte man auch überlegen.

Viel spannender als die neuen Bereiche, die entstehen, ist die Frage, wie sich bestehende Jobs verändern. Da gibt es Jobs, die haben wir schon, die brauchen wir auch, aber wir brauchen künftig mehr davon. Zum Beispiel Lokführerin, Lokführer, Stichwort mehr öffentlicher Verkehr.

Dann gibt es Jobs, die es auch schon gibt, die aber andere und zusätzliche Qualifikationen brauchen. Beispiel DachdeckerIn. Es gibt zunehmend Dachziegel mit integrierten Solarzellen. Da muss einer zwar nicht Solartechniker sein, aber er oder sie braucht grundlegende Elektrokenntnisse beim Montieren dieser Dachziegel.

Viel mehr Arbeit und Know how in den Personalabteilungen

Es wird viel Arbeit und auch Know how in Ihren Personalabteilungen nötig sein, viel mehr, als bisher. Und teilweise hat man auch nicht die Qualifikation in den Abteilungen, weil es nicht so ein Thema war. Da geht es darum, was die Jungen wollen, was sie anders wollen. Faul sind sie nicht, aber sie wollen schon etwas anderes, als man selber wollte. Diese unterschiedliche Denkweise fordert uns. Sehr spannend, mit den Veränderungen umzugehen. Der Sinn wird oft nachgefragt. Wobei ich glaube, dass es nicht viele sinnlose Jobs gibt. Aber wir haben verlernt, auch in dieser arbeitsteiligen Welt, darauf zu achten, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Sinn ihrer Tätigkeit im Ganzen auch darzustellen und ihnen dieses Gefühl auch zu geben.

Selbstverständlich hat auch das AMS seinen „Laden“ effizienter gemacht. Das heißt, abmelden tut man sich jetzt online beim eAMS Konto oder am Call Center. Was bedeutet, dass meine Beraterinnen und Berater in ihrem Arbeitsalltag nicht mehr unterbrochen werden durch ein Erfolgserlebnis, sondern immer nur arbeitslose Personen sehen.

Wenn Sie mich fragen, was Sie tun müssen, um gute Leute zu bekommen, sage ich Ihnen: Sie müssen nicht am meisten zahlen, Sie müssen ordentlich zahlen, aber dann kümmern Sie sich um die anderen Themen: Sinn, Arbeitszeit, Vereinbarkeit, Unternehmenskultur. Diese Themen. 

Neue Zielgruppen: Es ist schwierig, andere Personengruppen zu rekrutieren, wenn sie keine Erfahrung haben. Inserate müssen anders ausschauen. Wir experimentieren jetzt gerade mit der Uni Innsbruck, weil Recruiting von Frauen anders geht als Recruiting von Männern. Meine Botschaft: Investieren Sie in Ihre Personalabteilungen. Das ist wichtig. Wir haben Angebote, die ich Ihnen gerne ans Herz lege, wie die AMS JobApp und „Alle Jobs“. Das AMS hat mittlerweile 100% aller offenen Stellen bzw. alle großen Jobplattformen melden uns ihre Stellen. Zumindest die größeren Unternehmen von Ihnen verwenden irgendeine Recruitingsoftware, und Sie werden im kommenden Jahr sehen, da gibt es in ihrer Recruitingsoftware ein Feld mit einem Hakerl „Stelle dem AMS melden“. Wir haben gerade Kooperationen mit diesen Recruitingsoftwarefirmen, damit die Stellen direkt aus der Recruitingsoftware dem AMS melden können. Die Idee dahinter ist zum einen, dass es leichter und schneller geht für sie und für uns. Aber die zweite Idee ist auch in einem nächsten Schritt, dass wir auch Bewerber gleich in ihr Recruitingsoftware reinschalten, mit Lebenslauf und entsprechenden Daten.

Letzter Punkt Kompetenzmatching. Seit eineinhalb Jahren matchen wir nicht mehr über Berufsbezeichnungen beim AMS, wir matchen über Skills. Wir sind draufgekommen, dass immer mehr Firmen Leute suchen, wo sie nicht mehr wissen, wie man die nennt. Soll heißen, nicht jeder ist Schlosser, Dachdeckerin, Koch, Köchin, was auch immer, sondern Firmen suchen Leute, die SAP Kenntnisse und Projektmanagement haben. Oder die schweißen können und Projektmanagement-Kenntnisse haben. Die Firmen wissen dann nicht, wie man diese Leute beruflich bezeichnet. Auf der anderen Seite des Marktes gibt es immer mehr Beschäftigte, die in ihrem Leben ganz viele verschiedene Jobs gemacht haben. Und die sind nicht mehr das, was sie ursprünglich gelernt haben. Wir haben Menschen, die haben seit zehn Jahren in Kunststofftechnik gearbeitet und sind ursprünglich aber in Metalltechnik ausgebildet.

Abschließend nochmal meine Botschaft: „Investieren Sie in Ihre Personalabteilungen!“


(*) Der Vortrag von AMS-Vorstand Johannes Kopf kann hier nur in von der Redaktion gekürzter Form wiedergegeben werden

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