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„Kein Freibrief zum generellen Nichtreinigen“

Die hygienisch einwandfreie Durchführung von Reinigung und Desinfektion von Oberflächen in Gesundheitseinrichtungen dient einerseits der Sauberkeit und andererseits der Infektionsverhütung. Denn Krankheitserreger können unterschiedlich lange auf verschiedenen, nicht desinfizierten Oberflächen überleben und infektiös bleiben. Welche neuen Entwicklungen es in Sachen Flächendesinfektion gibt, darüber sprach „Reinigung aktuell“ mit Miranda Suchomel vom Institut für Hygiene und angewandte Immunologie an der Medizinischen Universität Wien und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP).

Reinigung aktuell: Wie ist der aktuelle Stand in Sachen Oberflächen-Desinfektion im Krankenhaus?
Miranda Suchomel

Miranda Suchomel: Die ÖGHMP erstellt im Rahmen ihrer Expertisenliste Empfehlungen, damit Desinfektionsmittel gemäß ihrer Wirksamkeit richtig eingesetzt werden können. Es gibt nur wenige Unternehmensbereiche, wie z.B. Tätowier- und Piercingstudios, die ÖGHMP-gelistete Produkte verwenden müssen. Ähnliches gilt auch für Großküchen. Wenn ein Hersteller eines Desinfektionsmittels seine Produkte in Gesundheitseinrichtungen vertreiben möchte, ist er gut beraten, eine Listung bei der ÖGHMP zu beantragen. Gemäß unserem Reglement muss es zunächst zwei unabhängige Prüf-Gutachten zum auszulobenden Produkt geben, der Begutachtungsausschuss prüft anschließend auf Plausibilität und vergibt die Expertise. Dann gilt das Produkt als ÖGHMP-gelistet. Theoretisch kann das Produkt auch ohne diese Expertise vertrieben werden, aber mit einer ÖGHMP-Listung hat der Anwender des Mittels dann eine gewisse Sicherheit. Es kommen auch immer wieder Anfragen, welche Produkte für oder in einer bestimmten Situation verwendet werden sollen. Hier können wir situationsangepasst eine Wirkstoffgruppe, nicht jedoch ein spezielles Produkt empfehlen. 

Sprüh- versus Wischdesinfektion – ein altes (Streit)Thema?

Wischdesinfektion bedeutet ja immer die Kombination aus Chemie und Mechanik. Dass ein zusätzlicher mechanischer Eingriff in einen Reinigungs- bzw. Desinfektionsprozess immer wirkungsvoller als die reine Chemie ist, liegt auf der Hand. Das heißt konkret: Die Wischdesinfektion ist daher grundsätzlich immer vorzuziehen. Es gibt freilich einige Bereiche, die man beispielsweise mit einem Reinigungsutensil schlecht erreicht. Da bleibt selbstverständlich nur die Sprühdesinfektion. Neben dem Nachteil der fehlenden Mechanik kommt noch zusätzlich hinzu, dass beim Sprühen viel Aerosol aufgewirbelt wird. Man atmet aber nicht nur die Tröpfchen dieser Chemikalie ein. Mit viel Pech werden durch den Sprühvorgang auch mit Erregern behaftete Tröpfchen aufgewirbelt – und inhaliert. Deswegen ist eine Sprühdesinfektion eher gesundheitsbedenklicher.

Die Wirkung von Desinfektionsmitteln ist ja nicht endlos und Flächen können auch nicht ununterbrochen desinfiziert werden. Damit bleibt die (hygienische) Händedesinfektion die wichtigste Maßnahme zum Unterbinden von Übertragungen. Wie ist Ihre Expertenmeinung dazu? 

Wir wissen, dass viele Krankheitserreger über die Hände übertragen werden. Bevor man also etwas (anderes) angreift, sollte man sich die Hände waschen – und desinfizieren, wenn es erforderlich ist. Damit verhindert man schon Vieles. Es geht bei dieser Frage aber auch um die Wirksamkeit der Desinfektionsmittel. Und die ist tatsächlich – wie auch bei der Händedesinfektion – nicht endlos. Ein Beispiel: Zunächst wird eine kontaminierte Oberfläche gereinigt und desinfiziert. Der desinfizierende Wirkstoff verbleibt über die Einwirkzeit hinaus eine gewisse Zeit auf der Oberfläche, wirkt also nach. In dieser Zeit kann eine Oberfläche aber schon wieder „verwendet“ werden. Früher wurde diese Nachwirkzeit mit maximal sechs Stunden bewertet, heute eher mir vier Stunden. Nun ist es aber so, dass bei einer neuerlichen Kontamination während dieser Zeit – zum Beispiel wenn man niest oder wenn eine Bakterienkultur verschüttet wird – der Desinfektionsprozess von Neuem gestartet werden muss. Dasselbe gilt bei der Händedesinfektion. Kurzum: Hände waschen und desinfizieren ist der optimale Weg, um eine Übertragung von Krankheitserregern zu verhindern. Doch man darf sich bitte nicht darauf verlassen, dass alles endlos wirkt. 

Hände waschen und desinfizieren ist der optimale Weg, um eine Übertragung von Krankheitserregern zu verhindern. Doch man darf sich bitte nicht darauf verlassen, dass alles endlos wirkt.

Stichwort Produkte: Bemerken Sie hier einen Trend der Hersteller zu „optimierten“ Reinigungsmitteln? Also z.B. „noch schnellere Einwirkzeit“, „geringerer Reiniger-Einsatz – gleiches Ergebnis“, „3 in 1“ usw.?

Diese konkreten Entwicklungen sind nicht bemerkbar. Was jedoch immer wieder aufkommt, ist, dass alles immer schneller und besser werden soll. Aber dabei geht es meiner Meinung nach eher um eine Compliance-Thematik und nicht um eine wissenschaftlich zu untersuchende Produktoptimierung. Was wir über die Jahre beobachten konnten, waren zwei Entwicklungen. Früher war z.B. Formaldehyd als Desinfektionswirkstoff nicht wegzudenken. Formaldehyd wurde dann aber wegen seiner krebserregenden und toxischen Wirkung verboten und in Desinfektionsmitteln durch andere Aldehyde, wie z.B. Glutaraldehyd, ersetzt. Aufgrund des unangenehmen Geruchs und toxisch-irritativen Potentials von Aldehyden haben Hersteller in den vergangenen Jahren dann begonnen, in ihren Produkten diese Wirkstoffgruppe komplett zu streichen oder zumindest zu reduzieren. Das zweite Szenario betrifft die Einwirkzeit. Der Verbund für Angewandte Hygiene (VAH) in Deutschland erlaubte früher als kürzeste Einwirkzeit für ein Flächendesinfektionsmittel fünf Minuten – auch dann, wenn entsprechende Prüfberichte und Gutachten eine kürzere Einwirkzeit festgestellt hatten. Seit kurzem sind beim VAH auch Produkte mit kürzeren Zeiten zulässig. Hersteller lassen ihre bestehenden Produkte nun in Prüflaboratorien nachtesten, sodass sie jetzt auch mit der kürzeren Einwirkzeit in den Desinfektionsmittellisten ausgelobt werden können.

Wie sieht es mit Kombiprodukten aus? 

Es gibt solche Produkte, wo diese Bezeichnung im Produktnamen steht. Wir wissen tatsächlich von manchen Desinfektionsprodukten, dass sie auch reinigende Wirkung haben. Wir nehmen an, dass solche Produkte dann später als Kombiprodukte angeboten werden. Allerdings ist die Reinigungsleistung im Rahmen der Desinfektionsmittelprüfnormen unerheblich. Bei jenen Produkten, die bei der ÖGHMP eingereicht werden, wird daher immer nur die Wirksamkeit des Desinfektionsmittels bzw. die Desinfektionsleistung bewertet. 

Man hört immer wieder: Ohne (vorherige) Reinigung kann im Anschluss nicht (wirksam) desinfiziert werden. Wie beurteilen Sie das Zusammenspiel zwischen Reinigung und Desinfektion? 

Grundsätzlich wirkt ein Desinfektionsmittel nur, wenn der Wirkstoff an die zu desinfizierenden Mikroorganismen herankommt. Wenn diese Organismen in einer Schmutzbelastung, einem Biofilm, einer proteinhältigen Verschmutzung wie Eiter, Blut oder Ausscheidungen versteckt sind, kann das Desinfektionsmittel nicht ausreichend wirken. Wir nennen das „Eiweißfehler“. Das Desinfektionsmittel wird bereits durch Rückstände, z.B. in Form von Erbrochenem – Verschmutzungen, die ja in einem Spital durchaus vorkommen können – verbraucht. Der Wirkstoff kommt daher dort, wo er eigentlich wirken soll, nicht mehr zur Entfaltung. Um dieses Phänomen zu umgehen, muss – bevor desinfiziert wird – zuerst gereinigt werden. Weiters kann mit Mechanik Schmutz aufgebrochen werden. Dadurch erlaube ich dem Desinfektionswirkstoff ebenfalls, weiter in Richtung versteckter Mikroorganismen vorzudringen. 

Das heißt, es gibt Produkte, die unter „leichten“ oder „erschwerten“ Bedingungen angewendet werden können?

Die ÖGHMP-Liste enthält Flächendesinfektionsmittel, die unter Anwendung bei „geringer Belastung“ (so genannten „clean conditions“) oder „hoher Belastung“ („dirty conditions“) wirken. „Clean conditions“ heißt: Die Oberfläche muss unbedingt vor einer Desinfektion gereinigt werden, weil das Mittel in der ausgelobten Konzentration bzw. Einwirkzeit zu schwach ist, um einen eventuell vorhandenen Rückstand zu eliminieren. „Dirty conditions“ hingegen besagt, dass ein Produkt im Labor unter hoher Belastung geprüft worden ist und in der ausgelobten Konzentration und Einwirkzeit die geforderten Normen erfüllt hat. Man kann theoretisch sagen: Auch wenn nicht 100%ig gut gereinigt wurde („dirty conditions“), kann man mit dem Produkt eine sichere Desinfektion erreichen. Das soll aber nicht heißen, dass dies ein Freibrief zum generellen Nichtreinigen ist! Es kommt auch oft vor, dass ein und dasselbe Produkt für beide Anwendungen in der ÖGHMP-Liste zu finden ist. Bei einer Auslobung unter „dirty conditions“ ist oftmals z.B. die Einwirkzeit länger oder die benötigte Konzentration höher als bei der Auslobung unter „geringer Belastung“. 

Grundsätzlich wirkt ein Desinfektionsmittel nur, wenn der Wirkstoff an die zu desinfizierenden Mikroorganismen herankommt

Neue technologische Desinfektionsmöglichkeiten z.B. über UV-Licht sollen unkompliziert mit Licht Bakterien, Viren und Keime entfernen. Also eine umweltfreundliche Reinigungstechnologie. Was sagen Sie dazu?

Ich habe mich viel mit UV-Licht zur Wasserdesinfektion beschäftigt. Man weiß, dass man für eine sichere UV-Desinfektion eine bestimmte Bestrahlungsstärke, eine Bestrahlungsintensität, die sich aus Bestrahlungsdosis und Zeit zusammensetzt, braucht. Für die Desinfektion von Wasser ist dies ein sehr erprobtes Verfahren. Für viele andere Situationen, Raum(luft)desinfektion oder Oberflächendesinfektion von Geräten, Medizinprodukten usw. werden ebenfalls UV-Desinfektionssysteme angeboten. Ich kenne allerdings keine entsprechenden Prüfergenbisse, wo sicher nachgewiesen wurde, dass über eine bestimmte Zeit und in einer bestimmten (Bestrahlungs)Dosis auch eine sichere Desinfektionsleistung erbracht wurde. Teilweise führen Hersteller solcher Geräte in ihren Werbeprospekten und Prüfberichten neue Begrifflichkeiten ein, wo man als Laie womöglich davon überzeugt ist, vor einer vermeintlichen Innovation zu stehen. UV-Desinfektionsgeräte einfach in einen Raum zu stellen, einzuschalten und zu glauben, dass danach alles gut desinfiziert ist – das kann nicht funktionieren. Abgesehen davon, müssten alle Oberflächen vorab gründlich gereinigt werden und es müsste sichergestellt sein, dass das UV-Licht bei Gegenständen, die Hohlkörper, Schläuche und dergleichen enthalten, ebenfalls überall hinkommt. Da sind meiner Meinung nach noch zu viele Fehlerquellen. 

Blick in die Zukunft: Was wird in Sachen Oberflächendesinfektion in Gesundheitseinrichtungen an Bedeutung gewinnen? Welche Entwicklungen bemerken Sie?

Auffällige Trends stechen aktuell nicht hervor. Wir bemerken jedoch, dass die Industrie öfter ihren eigenen Weg geht, sprich: Man kommuniziert beispielsweise, keine ÖGHMP-Listung der Produkte zu brauchen – und damit die entsprechenden (objektiven) Überprüfungen –, sondern es wird zunehmend auf „eigene“ Überprüfungen und Empfehlungen gesetzt. Hier sind die Entscheider, die Politik, gefordert, diese Entwicklung im Auge zu behalten. Bei den Gesundheitseinrichtungen besteht immer die Frage: Wer trifft die Entscheidung darüber, welche Produkte für Desinfektionsprozesse in Verwendung kommen. Wenn die ärztliche Direktion entscheidet, dann geht es meist um die Kosten, und es wird wahrscheinlich „das Günstigste“ genommen. Wenn die Hygieniker entscheiden, dann wird es sicher „das wirksamste“ Produkt.

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