Miranda-Suchomel

„Lüften ist die bessere Wahl“

Wischen, verdampfen, vernebeln – Raumdesinfektion ist nicht gleich Raumdesinfektion. Über die Wirksamkeit, richtige Anwendung und natürlich Desinfektion unter Corona-Bedingungen sprach Reinigung aktuell mit der Hygiene- und Infektionsexpertin Assoc. Prof. Univ. Doz. Dipl.-Ing. Dr. Miranda Suchomel vom Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie an der
Medizinischen Universität Wien.

Text: Erika Hofbauer

Reinigung aktuell: Was sind kurz umrissen die wesentlichsten Unterschiede von Raumdesinfektionsmöglichkeiten?

Miranda Suchomel: Zunächst einmal – unter „Raumdesinfektion“ versteht man die umfassende Desinfektion ALLER Oberflächen eines Raumes, was durch Wischen, Verdampfen oder Vernebeln eines Desinfektionsmittels erzielt werden kann. Sie sollte im Rahmen einer Schlussdesinfektion nur in speziellen Fällen durchgeführt werden. Sowohl bei der klassischen Flächendesinfektion als auch bei der Verneblung handelt es sich also um Verfahren, bei denen letztlich Oberflächen desinfiziert werden. Unterscheiden tun sich die beiden Verfahren vor allem in der Art der Ausbringung des Desinfektionsmittels. Während bei der klassischen Flächendesinfektion das Desinfektionsmittel als zusammenhängender Flüssigkeitsfilm mit oder ohne Mechanik auf die zu desinfizierende Oberfläche aufgebracht wird, wird bei der Verneblung das Desinfektionsmittel als feinstes Tröpfchen oder Aerosol ausgebracht und quasi mit der Luft zu den zu desinfizierenden Oberflächen transportiert. Die Verneblung passiert also immer ohne Mechanik, während wir bei der klassischen Flächendesinfektion Verfahren mit (Scheuer- oder Wischdesinfektion) und ohne („Sprühdesinfektion“) Mechanik unterscheiden.

Für die Raumdesinfektion durch Vernebeln wurde früher Formaldehyd verwendet, heute kommen hierbei Desinfektionsmittel auf Basis von Peroxidverbindungen oder chlorabspaltende Verbindungen zum Einsatz. Bei der klassischen Flächendesinfektion werden je nach Fragestellung und Material prinzipiell alle zur Verfügung stehenden Wirkstoffgruppen eingesetzt. ALLE Desinfektionswirkstoffe haben allerdings ihre Stärken, aber auch Schwächen und sind mehr oder weniger „ungesund“.

Reinigung aktuell: Im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 wird zunehmend auch Raumluftdesinfektion (Vernebelung) nachgefragt und angeboten. Die Österreichische Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP) äußerte sich zuletzt kritisch zu Raumluft- bzw. Sprühdesinfektionssystemen…

Suchomel: Noch einmal – die Raumdesinfektion stellt eine Ausnahme im Zuge einer Schlussdesinfektion dar, also zum Beispiel nach Entlassung eines mit methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) besiedelten Patienten. Wird im Zuge einer Raumdesinfektion das Desinfektionsmittel vernebelt oder verdampft, was dann gerne fälschlicherweise als Raumluftdesinfektion bezeichnet wird, so passiert das nicht mal eben so. Es ist ein langwieriger, zeitintensiver und hochkomplexer Vorgang und hat mit einer Routinedesinfektion nichts zu tun. Es ist besonders geschultes Personal notwendig, die Räume müssen entsprechend vorbereitet und nach dem Prozess, der mehrere Stunden dauern kann, auch wieder „rekonditioniert“ werden etc. 

Die im Moment mit dem „Coronamascherl“ auf den Markt strömenden Systeme der „Raumluftvernebler“ signalisieren hier oft etwas anderes. Es wird damit geworben, dass eine sichere und wirkungsvolle Desinfektion ganzer Räume, egal welcher Ausstattung, verbauter Materialien etc, in kürzester Zeit oder sogar „in situ“ bei gleichzeitiger Anwesenheit von Personen im Raum möglich ist. Es werden vor allem Raum(luft)Desinfektions-Systeme, basierend auf Wasserstoffperoxid (ev. angereichert mit Silberionen oder Milchsäure) oder Natriumhypochlorit (z.B. hergestellt über Membranzellenelektrolyse/Diaphragmalyseverfahren), angeboten. Beide Wirkstoffe sollten nicht eingeatmet werden, eine Anwesenheit ungeschützter Personen während der Desinfektion ist also nicht zu empfehlen! Die beiden Wirkstoffe sind zudem relativ instabil und es muss einiges unternommen werden, um sie in ihrer Konzentration über einen längeren Zeitraum zu stabilisieren. Die Verfahren können darüber hinaus bei Anwesenheit von Schmutz leicht versagen, das Zielgebiet (also alle Flächen) müsste vor der Desinfektion daher noch gründlich gereinigt werden, das Argument der Zeitersparnis – Reinigung und Desinfektion in einem Schritt – hält somit nicht. Es gibt aber noch andere Schwächen, beide Wirkstoffe können Korrosionen oder andere Materialschäden verursachen. Chlor zum Beispiel bleicht. Was macht das mit den verschiedenen Oberflächen im zu desinfizierenden Raum, wenn der Wirkstoff vernebelt wird? Also Stabilität, Materialverträglichkeit und Vorreinigung sind wichtige Faktoren, die man berücksichtigen sollte. 

Reinigung aktuell: Tatsächlich gibt es aber „Raumluft-Desinfektionsverfahren“ zur SARS-CoV-2-Prävention am Markt.

Suchomel: Das ist richtig und ich kann nur raten, vor Anschaffung derartiger Geräte oder Systeme sich zu vergewissern, dass sie auch halten, was sie versprechen. Für den Nachweis der Wirksamkeit eines Desinfektionsmittels oder -verfahrens existieren verschiedene Europäische Prüfnormen, die zum Beispiel auch für Zulassungen von Biozidprodukten (ein Desinfektionsmittel ist in der Regel ein Biozid) verlangt werden. Allerdings sind die einzelnen Prüfungen sehr unterschiedlich aufgebaut und es können Ergebnisse einer Prüfung nicht zur Abschätzung der Wirkung in einem anderen Claim herangezogen werden. Zum Beispiel kann ein Flächendesinfektionsmittel ohne entsprechenden Wirksamkeitsnachweis nicht als Wäsche- oder Händedesinfektionsmittel ausgelobt werden.

Ebenso verhält es sich mit „Verneblern“. Ein Nachweis der Wirksamkeit einer Chemie als Flüssigkeit in einem zusammenhängenden Flüssigkeitsfilm ist nicht 1:1 vergleichbar mit der Wirksamkeit der Chemie als Aerosol oder feinstes Tröpfchen, es werden mit ziemlicher Sicherheit höhere Konzentrationen und/oder Einwirkzeiten benötigt werden, wenn die Chemie vernebelt wird. 

Reinigung aktuell: Und der Corona-Aspekt?

Suchomel: Wir wissen, dass Aerosole (feinste Tröpfchenkerne) zwar eine gewisse Rolle in der Übertragung spielen, der Hauptübertragungsweg ist aber das Tröpfchen. Wir wissen auch, dass, wenn ich einfach ein Fenster öffne oder eine gut funktionierende, gewartete und richtig dimensionierte Klimaanlage habe, die Raumluft ebenso rasch „frei“ ist von infektiösen Aerosolen. Zudem, wenn eine Corona-positive Person eine „feuchte Aussprache“ hat oder mich gar direkt anhustet oder anniest, nützt es mir überhaupt nichts, wenn neben mir ein Raumluftdesinfektionsgerät steht. Ich denke, dass es sich bei diesen derzeit so massiv auf den Markt strömenden Systemen zur COVID-Prävention also eher um eine Werbe- und Verkaufsmasche handelt. Lüften ist auf jeden Fall die bessere Wahl, auch wenn ich da jetzt vielleicht ein bisschen „gegen mein Fach“ spreche, ich bin ja Expertin auf dem Gebiet der chemischen Desinfektion. Freilich ist die Chemie dazu da, Schadorganismen abzutöten, die Chemie unterscheidet aber leider nicht zwischen „bösen“ und „guten“ Mikroorganismen. Man darf sich daher nicht wundern, dass dadurch auch das natürliche Mikrobiom der Umwelt und auch unser eigenes in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich würde also einer physikalischen/mechanischen „Desinfektion“ der Luft gegenüber einer chemischen Variante immer den Vorzug geben.

Reinigung aktuell: Sie beschreiben, dass eine Wischdesinfektion, also eine Desinfektion mit Mechanik, einer Sprühdesinfektion, also einer Desinfektion ohne Mechanik, vorzuziehen ist. Warum ist das so? Kann es in bestimmten Fällen auch umgekehrt sein?

Suchomel: Aus Wirksamkeitsgründen und aus hygienischer Sicht ist eine Desinfektion mit Mechanik in jeder Situation besser als eine Desinfektion ohne Mechanik. Manche Mikroorganismen (Staphylokokken zum Beispiel, oder auch Hefen) erreicht man mit einer Desinfektion ohne Mechanik nur schlecht, im „Kern“ können sie überleben, während bei einer Desinfektion mit Mechanik Zellverbände aufgebrochen werden und die Desinfektionswirkstoffe so auch in den „Kern“ gelangen und dort wirken können. Natürlich gibt es Bereiche, wo ich mir mit der Wischdesinfektion schwertue (schlecht zugängliche Bereiche, strukturierte Oberflächen etc.). Da habe ich nur die Möglichkeit, die Oberfläche satt einzusprühen und zu hoffen, dass die Chemie alleine es schafft, die Mikroorgansimen abzutöten. Stichwort Wirkstoff: Bei Verfahren ohne Mechanik versus mit Mechanik mit dem gleichen Wirkstoff benötige ich nahezu immer längere Einwirkzeiten und/oder höhere Konzentrationen des Wirkstoffes, um das Gleiche zu schaffen. Dazu kommt, dass das Sprühen von Desinfektionsmitteln aus medizinischer Sicht nicht optimal ist. Denn: Durch das Aufsprühen kommt es zu Aerosolbildung und darüber hinaus kann man durch den Sprühnebel Mikroorganismen in die Luft bringen. Beides sollte nicht eingeatmet werden.

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