Der Klimawandel beeinflusst das Leben auf diesem Planeten auf vielfältige Weise. Eine Branche ist schon mittendrin in den Herausforderungen, die veränderte klimatische Bedingungen mit sich bringen: Die Schädlingsbekämpfer.
Text: Erika Hofbauer
Die Population verändert sich laufend, und zwar nicht (nur) die menschliche. „Wir haben in unseren Breitengraden Tiere, die eigentlich gar nicht hierher gehören. Und was alles klimabedingt an Pflanzenschädlingen kommt, weiß man alles noch gar nicht“, sagt Siegfried Czeczelich, Geschäftsführer des Schädlingsbekämpfungs- und Hygienemanagement-Unternehmens Hygienehelp, und ist freilich nicht überrascht, wie rasant diese Veränderungen geschehen: „Die spanische Nacktschnecke und auch die Dornfingerspinne – das sind nur die Spitzen, bald wird es bei uns auch Termiten geben.“
Ähnlich alarmiert ist auch Rainer Barath, Technischer Direktor des Spezialunternehmens Anticimex: „Auch ohne Bewusstsein über den stetig voranschreitenden Klimawandel sind die Veränderungen in Flora und Fauna sicht- und spürbar – da muss man kein Raketenwissenschaftler sein.“ Am offensichtlichsten sei dies bei Mäusen zu bemerken, die gerade in der Landwirtschaft einen großen wirtschaftlichen Schaden verursachten: „Durch die warmen Winter findet die natürliche Dezimierung in unseren Breitengraden nicht mehr in dem Maße statt, um das biologische Gleichgewicht halten zu können. Bei Wintern, die in den letzten Jahren maximal zwei Wochen Tiefsttemperaturen von -5°C bescherten, kann keine natürliche Dezimierung der Nagerbestände passieren. Dazu bräuchte es zum Beispiel zwei Monate mit etwa -10°C.“ Insekten als auch Wirbeltiere hätten gute Überlebensmechanismen entwickelt, um auch kälteste Temperaturen – natürlich nur über einen kurzen Zeitraum – zu überleben, weiß Barath: „Jedoch müssen sie diese Funktion immer weniger nützen.“ Bezüglich Insekten verhalte es sich ähnlich, erzählt der Anticimex-Experte, auch wenn die Mortalitätsschwelle niedriger sei als bei Nagern. Diese Entwicklung, so Barath weiter, verändere natürlich auch das eigene Unternehmen: „Mussten wir Mitarbeiter vor 15 Jahren noch zu anderen Diensten außerhalb der Schädlingsbekämpfung einteilen oder gar in die Winterarbeitslosigkeit schicken, haben wir heute bedeutend geringere Schwankungen in der Arbeitsauslastung. Es gibt faktisch keine Saisonalität mehr in der Schädlingsbekämpfung.“
Optimale Klimabedingungen
Peter Fiedler, Geschäftsführer der ASSA Schädlingsbekämpfungs GmbH, kann dieses Szenario bestätigen: „Die Temperaturen, auf die wir uns in Zentraleuropa im Rahmen des Klimawandels mehr oder weniger langsam hinbewegen, sind optimale Entwicklungsparameter für heimische und neue Insekten, sogenannte Neozoen, die immer häufiger werden.“ Durch das Steigen der Temperaturen und auch teilweise der Feuchtigkeit verkürzten sich die Entwicklungszyklen bei Schädlingen rapide, wodurch der Befallsdruck, also die Anzahl der vorhandenen Tiere, enorm steige: „Hinzu kommt, dass durch eine schnellere Generationenfolge die Anpassungsfähigkeit der Tiere deutlich erhöht ist – ein Faktor, der uns nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie mehr als deutlich vor Augen geführt wurde.“ Eine Veränderung in der Temperatur um 2 °C könne zu ein bis fünf zusätzlichen Entwicklungszyklen im Jahr führen, so Fiedler. Eine Veränderung der Schädlingspopulationen von bereits bestehenden Arten wie Deutsche Schabe, Bettwanze oder Kleidermotte sieht er als eher unwahrscheinlich an.
Wahrscheinlicher sei hingegen, „dass sich einige bisher bei uns nicht so verbreitete Arten wie Argentinische Ameise oder Mediterrane Termite stärker und schneller etablieren werden bzw. bestehende Arten wie Gemeine Stechmücke oder die Stubenfliege deutliche Veränderungen der Populationen zeigen werden.“ Speziell im urbanen Bereich, so Fiedler, seien diese Auswirkungen besonders stark spürbar: „Studien haben ergeben, dass die Temperatur im urbanen Bereich um durchschnittlich 12 °C höher ist als in der Umgebung. Wir züchten also ein vor allem städtisches Problem.“
Etwas relativiert will Gerhard Klosterer, Technischer Direktor von Rentokil Initial, die Situation beurteilen: „Der Klimawandel ist ein sehr langsamer Prozess, der sich nicht messbar auf die Populationsdynamik von Schädlingen auswirkt. Biologisch gesehen wird die Anzahl von Individuen von vielen unterschiedlichen Faktoren wie zum Beispiel Nahrungsangebot und verfügbarem Lebensraum beeinflusst.“
Zulassungs-Problematik
Abseits der Klimaproblematik öffne sich auch ein ganz anderer Pool an Herausforderungen, berichtet ASSA-Geschäftsführer Fiedler: „Neben den klimabedingten Veränderungen kommen beispielsweise Themen wie Antibiotika-Resistenzen, Wirkstoff-Resistenzen und massive Einschränkungen bei der Zulassung von Produkten zur Schädlingsbekämpfung erschwerend hinzu.“ Hygienehelp-Geschäftsführer Czeczelich sieht dies ebenso: „Wir haben EU-weit das Problem, dass für jedes Produkt in jedem Land eine eigene Zulassung notwendig ist. Das kostet Geld, und für die großen Produzenten zahlt sich ein kleiner Markt nicht aus. Jedes kleine Land – so wie eben Österreich – gerät da schnell ins Hintertreffen, denn wenn in einem Produktmittelkatalog aus Deutschland bei jedem zweiten oder dritten Produkt steht, dass es für Österreich nicht zugelassen ist, dann ist das nicht optimal.“ Freilich könne man mit den bisherigen Mitteln ebenso die Schädlingsbekämpfung angehen – was auch geschehe –, aber dies habe oft den Nachteil, dass die herkömmlichen Methoden eben nicht effizient und auch schnell genug (für den Kunden) funktionieren.
Der Technische Direktor von Rentokil Initial, Gerhard Klosterer, stößt ins selbe Horn, gibt sich aber optimistisch: „Die Gesetze werden immer komplexer und die Zulassung von Wirkstoffen immer teurer, aber es gibt keinen Schädling, den wir nicht bekämpfen können. Das Ziel ist, toxische Substanzen so gut wie nur möglich zu vermeiden.“
Die Wirkstoff-Thematik in der EU sieht ASSA-Geschäftsführer Fiedler ebenfalls als „sehr komplex“ an: „Die Biozidzulassungen sind zunehmend eingeschränkter und gegenseitige Anerkennungen werden oft – aus Kostengründen – nicht durchgeführt. Hier wird es tatsächlich über kurz oder lang zu Schwierigkeiten kommen, vor allem bei Insekten, die sich neu auf der Landkarte zeigen.“
Für Anticimex-Direktor Barath funktioniert die Internationalität dafür auf andere Weise: „Wenn wir neue Insektenarten bei uns finden, die es früher nicht gab, ist die erste Herausforderung die Bestimmung der Spezies und die Habitatsforschung. Hier ist der internationale Austausch der Fachexperten enorm wichtig.“ Denn in den vergangenen Jahren seien in der Tierwelt Habitatsverschiebungen festgestellt worden, „Beispiele wie Tigermücke, asiatischer Marienkäfer und amerikanische Zapfenwanze, die mittlerweile bei uns einheimisch geworden sind, zeigen dies ganz deutlich.“ Eine Vorbereitung auf mögliche Massenabwanderungen durch verstärkte Entwicklung von Bioziden sei mit den strengen Verordnungen zur Biozidanwendung in der EU eher nicht möglich: „Für uns ist eine klare Zielsetzung, nicht noch zusätzlich zum Klimawandel eine weitere Umweltbelastung durch erhöhte Biozidanwendung zu schaffen.“ Diese Sicht sowie die strengen Limitierungen des Biozideinsatzes in der EU lasse die Nachfrage nach wirksamen biozidfreien Alternativen erstarken, spielt Barath auf die eigens entwickelte SMART-Produktlinie an, die mit High-Tech-Geräten vor allem Nager biozidfrei bekämpft.
Blick in die Zukunft
„2021 steht ganz im Zeichen der Nachhaltigkeit – gerade auch in der Schädlingsbekämpfung“, ist Rainer Barath überzeugt: „In den letzten Jahren ist als großes Thema die Rolle der Bauweise und Gebäudedichtheit im Zusammenhang mit Schädlingsbefall gekommen. So unterstützen wir Kunden bereits in der Planung und Bauphase der Gebäude in Richtung Schädlingsdichtheit. Diese Herangehensweise ist die am stärksten zur Reduktion des Biozideinsatzes beitragende Maßnahme. Wenn wir ein Gebäude soweit dicht bauen oder auch nachträglich dicht gestalten können, sodass keine Organismen eindringen, sparen wir eine bedeutende Menge an Bioziden, die sonst zur Bekämpfung von einer Vielzahl an Eindringlingen notwendig gewesen wäre.“
Rentokil Initial-Direktor Klosterer sieht heuer eine zusätzliche Problematik: „Covid 19 bremst keinen Schädling und diese vermehren sich derzeit ungehindert in Betrieben, die seit Monaten geschlossen sind und wo notwendige Bekämpfungen nicht durchgeführt worden sind. Nach der Öffnung sind hier verstärkte Maßnahmen erforderlich.“
ASSA-Geschäftsführer Fiedler würde sich wünschen, dass nicht nur die Profis, sondern die Menschen generell mit offenen Augen durch die Natur gehen und beobachten: „Das rechtzeitige Erkennen vor allem der Tigermücke gilt auch dieses Jahr als essentiell, damit wir hier die Ausbreitung im Auge behalten können.“