Podiumsdiskussion am „Reinigungstag 2019“ am 22. Oktober zur Frage „Gehen uns die Arbeitskräfte aus?“ – mit: Julia Bock-Schwappelwein, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, Jürg Brechbühl, Allpura – Verband Schweizer Reinigungs-Unternehmen, Johannes Bungart, Bundesinnungsverband des Gebäudereiniger-Handwerks Deutschland, und Gerhard Komarek, Berufszweigsobmann der Denkmal-, Fassaden- und Gebäudereiniger Österreichs.
Text: Hansjörg Preims
Nach einer Studie vom Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche gehen Österreich im Jahr 2029 die Arbeitskräfte aus. Wie sind die derzeitigen Prognosen vor dem Hintergrund, dass wir immer weniger arbeiten und immer älter werden? Frau Bock-Schwappelwein, gehen der Wirtschaft die Menschen aus?
Julia Bock-Schwappelwein: Gegenwärtig sind etwa 27 Prozent der unselbstständig Beschäftigten in Österreich zwischen 50 und 64 Jahre alt. Ende der 1990er Jahre waren das 10 Prozent. Die stärksten Jahrgänge in Österreich, die von 1963 und 1964, sind heute über 50, und die werden spätestens 2030 aus dem Erwerbsprozess ausscheiden. Manche Arbeitsplätze werden aufgrund von technologischen Entwicklungen oder irgendwelchen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwar nicht nachbesetzt werden, aber andere müssen nachbesetzt werden. Und da ist die Frage, wie und wodurch. Wobei es mehrere Ansatzpunkte gibt, wie man vorausschauend schon agieren muss. So muss man hinterfragen, ob man nicht Jugendliche auf der Strecke bleiben lässt. Denn wenn man sich anschaut, in welchem Maße Kinder Lernziele erreichen, sieht man, dass ein nicht unerheblicher Teil der Jugendlichen die Bildungsstandards nicht oder nur teilweise erreicht. Und da stellt sich schon die Frage, ob wir uns das leisten können – und somit auch die Frage, ob wir es uns künftig leisten können, Personen in den Erwerbsprozess nicht zu integrieren. Es wird eine große Herausforderung werden, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit wir Frauen und Männer oder eben auch bestimmte Personengruppen in den Erwerbsprozess integrieren können. Und dafür braucht es insbesondere entsprechende Qualifikationen, wofür wir eben rechtzeitig sorgen müssen.
Wie ist in den Nachbarländern die Personalsituation in der Reinigungsbranche – in der Schweiz zum Beispiel?
Jürg Brechbühl: Den demografischen Wandel gibt es in der Schweiz natürlich auch. Vor allem im Gesundheitswesen fehlen Fachkräfte. Für die Gebäudereinigungs-Branche kann ich aber sagen, dass wir in der Schweiz beim Reinigungspersonal derzeit noch keinen Fachkräftemangel haben. Wo wir einen großen Mangel haben, ist der mittlere Kaderbereich. Daran sind wir aber selber schuld. Wir jammern, dass wir keine Nachwuchskräfte haben, wir fördern sie aber auch nicht. Wir müssen die eigenen Talente in den Betrieben fördern, denn auch die, bin ich überzeugt, werden wieder Nachwuchskräfte fördern.
Herr Bungart, wie sieht es in Deutschland aus?
Johannes Bungart: Auch in Deutschland spricht man von Personalmangel, und davon spricht man in Deutschland, wenn man weniger als sieben Bewerber auf eine Stelle hat. Natürlich gibt es das demografische Problem, aber unsere Mitglieder haben zur Zeit noch keinen Auftrag wegen Personalmangels ablehnen müssen. Was die mittelfristige Perspektive angeht – ja, wir werden eine Überalterung und auch das eine und andere Problem haben, aber wir haben auf Probleme immer reagiert. Da bin ich auch optimistisch, dass die Politik reagiert. Es gibt ja auch einige Stellschrauben, die Tagesreinigung zum Beispiel, auch im Bereich Ausbildung werden wir einiges tun. In den letzten 30 Jahren habe ich jedenfalls immer wieder festgestellt, dass unsere Betriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr kreativ sind, wenn es darum geht, Wege zu finden, bevor man einen Kunden ablehnt. Deswegen bin ich vorsichtig optimistisch, was die Personalsituation betrifft.
Herr Komarek, wie ist Personalsituation für die Betriebe in Österreich? Angeblich mussten im Westen Reinigungsaufträge wegen Personalmangels schon angelehnt werden.
Komarek: Im ländlichen Bereich wird es immer schwieriger, Reinigungspersonal zu finden – und, ja, es stimmt, dass es mittlerweile Aufträge gibt, die nicht abgewickelt werden können, weil kein adäquates Personal zur Verfügung steht. Aber in Österreich hat das eigentlich eine andere Ursache, und hier ist auch die Politik intensiv gefordert. Wir haben einen Arbeitskräftemangel, obwohl wir über 400.000 Arbeitsuchende haben – und über 30.000 Asylberechtigte, von denen 10.000 unter 25 Jahre alt sind und die eigentlich auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müssten. Das tun sie aber nicht, weil das soziale Netz in Österreich viel zu eng ist. Eine Reinigungskraft verdient bei 20 Stunden 758 Euro, und die Mindestsicherung ist über 800 Euro, zusätzlich darf einer auch noch geringfügig beschäftigt sein, womit er schon bei 1200 Euro ist, und wenn er darüber hinaus auch noch ein bisschen schwarz arbeitet, kommt er wahrscheinlich auf 1500 Euro. Dass diese Person kein Interesse hat, in ein Arbeitsverhältnis integriert zu werden, ist klar. Und da liegt unsere Problematik.
Bungart: Diese Situation haben wir in den westlichen Ländern Europas überall. Mit unseren ersten Gastarbeitern aus Italien und den europäischen Nachbarländern hat es funktioniert, auch weil wir die heutigen Sozialleistungen noch nicht hatten. Und wenn wir jetzt diskutieren, wo wir neue Arbeitskräfte herbekommen – die sind eigentlich alle schon da, potentiell zumindest, man muss das nur entsprechend politisch begleiten, und da ist der nötige Druck noch nicht da.
Brechbühl: Dasselbe Problem haben wir in der Schweiz, sprich: wir haben ja die Leute, und die Reinigungsbranche integriert seit 50 Jahren Menschen in den Arbeitsprozess, sie erfährt aber keine Wertschätzung von Seiten der Politik und der Wirtschaft – woran wir selber schuld sind. Als Bauern würden wir für jeden Quadratmeter eine Subvention oder eine Zulage bekommen, die Bauern beschäftigen auf ihren Feldern im Sommer aber die gleichen Leute wie wir – so sollten auch wir uns politisch engagieren, damit auch wir Sozialbeiträge erhalten für die enorm wertvolle Integrationsarbeit, die wir leisten.
Gibt es nicht auch andere Gründe für die angespannte Personalsituation in der Reinigung, in Österreich zum Beispiel den enorm hohen Anteil an geteilten Diensten ganz in der Früh und spät am Abend?
Komarek: Von über 55.000 Personen, die wir in Österreich in der Reinigung beschäftigen, sind 61 Prozent Teilzeitbeschäftigte. Und wir haben bei den Reinigungskräften durchschnittlich 29 Wochenstunden, so schlimm ist es also nicht mit den geteilten Diensten. In vielen Bereichen ist Tagesreinigung gar nicht möglich, Beispiel Therme, da kann die Reinigung nicht untertags stattfinden. Und wenn immer wieder der Tagesreinigungsanteil in Skandinavien als Vorbild herangezogen wird – die Frage ist ja auch, was man mit Tagesreinigung meint, sprich: wenn der Tag um 6 oder 7 beginnt, sieht es bei auch nicht so schlecht aus mit der Tagesreinigung, wenn man unter Tagesreinigung aber die Zeit von 8 bis 16 Uhr versteht, ja, dann haben wir eben viele Randzeiten in der Reinigung.
Bungart: Einerseits ist Tagesreinigung sicher eine gute Idee, mit der man einige Probleme lösen könnte, aber ich halte das nicht für DIE Lösung. Unsere Branche hat ja gerade auch das Privileg, Teilzeit anbieten zu können, was manchen Familien auch hilft, Familie und Arbeit zu verbinden. Wir würden Mitarbeiter verlieren, wenn wir die Teilzeit wegnehmen würden.
Aber noch einen Gedanken zum Thema Mindestlohn: Ich glaube nicht, dass wir durch eine andere Tarifpolitik mehr erreichen könnten. Mindestlöhne sind eben Mindestlöhne, und wenn ich bestimmte Aufträge im ländlichen Bereich nicht annehmen kann, weil ich die Leute dazu nicht finde, dann muss ich den Mitarbeitern eben mal 2 Euro mehr bezahlen und entsprechend dann auch dem Kunden sagen. dass ich sein Objekt nicht saubermachen kann, wenn er nicht 2 Euro mehr für die Stunde bezahlt. Der Kunde muss in dieses Problem mit einbezogen werden, darum muss sich der Unternehmer eben auch kümmern, das gehört auch zu seinen Aufgaben, statt immer nur von der Politik Lösungen zu erwarten.
Herr Komarek, vom Arbeitsmarktservice hört man, alles, was Vollzeit oder Tagesreinigung ist, ist ganz einfach zu besetzen, aber wo es um geteilte Dienste geht, wird es schon schwieriger….
Komarek: Wenn das AMS sich beschwert, das es wegen der Randzeiten in der Früh und am Abend so schwierig sei, für die Reinigung Personal zu finden, muss ich sagen: So einfach ist das nicht, selbst in AMS-Räumlichkeiten wird in der Früh und am Abend gereinigt, weil Betreuungsgespräche mit Arbeitssuchenden nicht gestört werden sollen. Wir haben in der Branche leider auch eine Fluktuation von über 70 Prozent. Das heißt, wenn heute eine Reinigungsfrau bei der Firma X einen Drei-Stunden-Job hat und die Firma Y bietet ihr einen Vier-Stunden-Job an, dann wechselt sie sofort. Und für einen Fünf-Stunden-Job wechselt sie gleich noch einmal, und wenn sie in der Nähe des Kindesgartenplatzes ihres Kindes einen Job bekommt, wechselt sie ein weiteres Mal. Das ist unsere Problematik. Wir müssen unter anderem eben auch mehr zusammenhängende Dienste anbieten. Aber die Zeiten, in denen wir uns das Personal aussuchen konnten, sind bei uns schon lange vorbei. Der größte österreichische Reinigungsbetrieb beschäftigt Mitarbeiter aus insgesamt über 90 verschiedenen Nationen. Da kümmert man sich mittlerweile auch schon um Themen wie Kindergartenplätze für Mitarbeiterinnen mit Kindern, um den Job annehmen zu können, man kümmert sich darum, dass die Kinder bei Bedarf internet-basierende Lernhilfen bekommen, es gibt mittlerweile auch Sozialbetreuung von Mitarbeitern mit Problemen gemeinsam mit der Caritas – da gibt es also ganz viele Aktionen von den Reinigungsbetrieben in Österreich, um gutes Personal zu halten oder besseres zu finden. Den Personalmangel gibt es, aber wenn die richtigen Leute nach Österreich kommen, haben wir auch die Möglichkeit, sie einzusetzen. Und sie können diese Zeit des Deutschlernens in unserer Branche auch nutzen, um dann auch andere Tätigkeiten zu machen. Nur – die Personen, die wir jetzt hier haben, können wir nicht einsetzen, weil sie es nicht wollen oder noch nicht brauchen.
Was würden sich die jeweiligen Vertreter hier für die nächste Zeit wünschen? Und wie wird es Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren hinsichtlich Personal ausschauen?
Brechbühl: Ich würde mir – wahrscheinlich wie alle hier – vor allem mehr Wertschätzung für die Reinigungsarbeit wünschen, für unsere Mitarbeiter, die tagtäglich für Hygiene, Sauberkeit und Sicherheit sorgen. Und um auch in der nächsten Zukunft mit unserer Industrie zu bestehen, sollten wir uns an das halten, was der russisch-schweizerische Unternehmer Zino Davidoff gesagt hat, nämlich: „Ich mache eigentlich kein Marketing, ich liebe einfach meine Kunden.“ Wir müssen noch viel tiefer auf unsere Kunden eingehen, ihnen zuhören und ihnen maßgeschneiderte Lösungen anbieten.
Bock-Schwappelwein: Man muss sich bewusst sein, dass Veränderungsprozesse auch am Arbeitsmarkt nichts Neues sind. Veränderungsprozesse hat es immer gegeben, gibt es jetzt und wird es weiter geben. Zwei Zahlen dazu: Bis Ende der 1960er Jahre gab es in Österreich mehr Beschäftigte in der Produktion bzw. in der Sachgütererzeugung als im Dienstleistungssektor, heute sind ungefähr Dreiviertel der unselbstständig Beschäftigten im Dienstleistungssektor tätig, knapp ein Viertel in der Sachgütererzeugung und weniger als ein Prozent in der Land- und Forstwirtschaft.
Komarek: Die österreichische Reinigungsdienstleistung lukriert 1,8 Milliarden Euro Umsatz, und das geschätzte Marktpotenzial beträgt 3 Milliarden. Hier gibt es also noch viel Potenzial, speziell im Gesundheitsbereich und im kommunalen Bereich, deshalb haben wir ganz intensiv Bedarf an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wir haben in Österreich aber schon 2010 begonnen, an dem Rädchen „qualifiziertes Personal“ zu drehen. Wir haben in Österreich pro Jahr um die 250 Meister und über 300 Facharbeiter, die aus den verschiedenen Aus- und Weiterbildungskursen hervorgehen. Und ich hoffe, dass die Politik die Möglichkeit schaffen wird, auf Personal auch zugreifen zu können. Bei dem Personal, das wir jetzt einsetzen, speziell auch für den öffentlichen Auftraggeber, ist die Voraussetzung, dass diese Reinigungskräfte schon eine Ausbildung haben. Wir haben durch die ÖNORM D 2040 die verschiedenen marktüblichen Ausbildungen standardisiert. Und wenn heute ein Krankenhaus die Reinigung ausschreibt mit der Vorgabe, dass sämtliche Reinigungskräfte den Basiskurs Krankenhausreinigung haben müssen und die Objektleiter und Vorarbeiter den Fachkurs Krankenhausreinigung, dann ist das schon ein Zeichen, dass es in die richtige Richtung geht. Und dann sind dort auch Personen dabei, die mit der Digitalisierung fertig werden, die ein Tablet anwenden und einen Roboter starten können. Aber wir haben in dem Bereich noch viel zu tun, und wir werden das auch schaffen.