Industrie 4.0, also grob gesprochen die Automatisierung und digitale Vernetzung, hat auch im (Groß)Küchenbetrieb Einzug gehalten. Der ehemalige Eurest-Finanzchef Anselm Bothe, seit Mitte des vergangenen Jahres mit einer eigenen Beratungsfirma für Gastro- und Catering-Betriebe tätig, erklärt, worauf es in Zukunft ankommt.
Text Erika Hofbauer
Reinigung aktuell: Automatisierung und Vernetzung wird immer mit großem Nutzen in der Gestaltung unternehmerischer Prozesse verbunden. Wie sieht dies ganz speziell im Großküchenbetrieb bzw. in der Gemeinschaftsverpflegung aus?
Anselm Bothe: Die Vorteile der Vernetzung von Daten und Informationen liegen heute vor allem in den der Produktion vor- und nachgelagerten Prozessen. Zum Beispiel kann Künstliche Intelligenz schon heute dabei helfen, in der Menü- und Mengenplanung die Informationen und Erfahrungen bezüglich des Gästepotenzials an bestimmten Wochentagen und das Essverhalten und die Wünsche der Gäste miteinzubeziehen. Dies hilft dabei, den Wareneinsatz zu optimieren und Überproduktion – auch einzelner Menüs oder Komponenten – zu vermeiden. Von Spitzen-Gastronomen gemachte und getestete Rezepturen – in Kombination mit Warenwirtschafts-Systemen – sorgen für gute Qualität bei optimiertem Wareneinsatz. Voraussetzung dafür ist, dass Gastronomen die richtigen Produkte bei den richtigen Lieferanten erfragt, verkostet und ausgewählt haben und ein professioneller Einkauf diese verhandelt hat. Diese Artikel-Stammdaten des Lieferanten werden dann automatisch in die Bestellsysteme eingelesen. Mit den Informationen der Lieferanten ist auch die Auszeichnung gemäß EU-Lebensmittelinformationsverordnung kein
Vabanque-Spiel mehr und auch kein großer Aufwand. Es hilft also dem Gastronomen dabei, sich auf sein Kerngeschäft und seine Stärken zu konzentrieren.
Wie sieht es da diesbezüglich in den Großküchen der Gemeinschaftsverpflegung in Österreich aus? Wie gut sind Ihrer Erfahrung nach die Betreiber denn wirklich vorbereitet? Inwieweit hat die digitale Zukunft da schon Einzug gehalten?
Es kommt auf die verfolgte Strategie bei der Digitalisierung an. Einige Betreiber und insbesondere „Küchenchefs der alten Schule“ lehnen die Digitalisierung weiterhin ab, weil sie Gleichmachung und Verlust von Kreativität und Gestaltungsmöglichkeiten befürchten. Die Digitalisierung nimmt jedoch gerade in den größeren Betrieben rasant zu. Heute können für 3.000 Gäste nicht mehr nur z.B. drei verschiedene Menüs angeboten werden. Die Betreiber wissen, dass sie ihre Gäste zukünftig an sechs bis neun Front-Cooking-Stationen mit unterschiedlichen Gerichten verwöhnen müssen. Mit dem täglichen Anruf und der Bestellung bei den jeweiligen Lieblings-Lieferanten kriegt man diese Vielfalt nicht mehr hin. Das geht nur, wenn viele administrative Prozesse digitalisiert werden. Das wiederum setzt aber die Einführung von Warenwirtschaftssystemen und geänderten Einkaufs- und Produktionsprozessen voraus. Zur Realisierung bedarf es des Interesses der Operative und der Kunden gleichermaßen.
Was macht aus Praxis-Sicht in der Großküche bezüglich digitaler Systeme in welchem Umfang Sinn? Müssen da auch die einzelnen Geräte lernen, miteinander zu kommunizieren?
Viele Systeme kommunizieren schon heute miteinander, oder könnten es zumindest: Menü-Planung, Rezepturen, Bestellvorschlag inklusive präferiertem Lieferanten, Kassendaten-Übernahme, Lieferscheine, automatischer Rechnungsabgleich, Versand der Ausgangsrechnungen per EDI mit anschließender Einspielung beim Kunden sind Beispiele für Einzelprozesse, die heute schon von vernetzten, digitalen Systemen optimal unterstützt werden können. Viele administrative Prozesse lassen sich drastisch verkürzen und dadurch können sich die Gastronomen mehr um Mitarbeiterführung, echtes Kochen, Abschmecken und die Ansprache der Gäste kümmern.
Was kann da noch alles kommen?
Bei der Menüplanung ist sicher die Vernetzung zwischen Kassen, Menüplanung und Warenwirtschaftssystemen ein nächster Schritt. Das Wissen darum, dass z.B. genau bei diesem Kunden z.B. an einem „Schnitzeltag“ bis zu 20 Prozent mehr Gäste kommen und dennoch vom veganen Menü statt 150 Portionen nur 100 gegessen werden, kann helfen, die Überproduktion und somit den Wareneinsatz zu verringern.
Wo eine große Menge gleicher Speisen hergestellt werden muss, ist Automatisation ja auch insofern von Vorteil, als es eine konstante Qualität zu erzielen gilt. Wie helfen hier digitale Systeme, um das zu gewährleisten?
Klar helfen digitale Überwachungssysteme bei der Einhaltung und vor allem der Dokumentation von Qualitäts- und Hygiene-Standards. Es sollte auch weniger versalzene Speisen geben. Ebenso wären moderne, kundenspezifische Reportings bezüglich CO2-Reduktion und Regionalität und Kalorienreduzierung ohne die entsprechenden Systeme nur mit großem händischem Aufwand zu machen. Dies gilt fast unabhängig von der Betriebsgröße.
Wo sehen Sie den Großküchenbetrieb in fünf Jahren? Welche Herausforderungen werden auf Betreiber zukommen? Wo sehen Sie die größten (Umsetzung)Schwierigkeiten – und wie können diese behandelt werden?
Ich unterscheide hier zwischen Groß-Produktions-Betrieb und großen Betrieben der Gemeinschaftsverpflegung. In der Gemeinschaftsverpflegung nehmen Kunden vermehrt Einfluss. Sie haben spezielle Wünsche bezüglich der Gerichte, regionalem Einkauf, stärkerer Gesundheitsorientierung oder Kalorieneinsparung. Und diesen Wünschen muss der Gemeinschafts-Gastronom entsprechen. Angemessene Digitalisierung hilft der Gemeinschaftsverpflegung, verschiedene Menüs auch in relativ kleinen Mengen effizient und geschmacklich hervorragend herstellen zu können und auch alle rechtlichen Anforderungen einzuhalten. Die Digitalisierung dieser bisher beschriebenen Prozesse schafft den Gastronomen Freiräume zur „Beglückung“ der Gäste.
Zur Implementierung der Digitalisierung bedarf es freilich systemisch geschulter Berater. Heute versuchen viele Teilsystem-Hersteller beispielsweise Kassensysteme, Warenwirtschaftssysteme, Produktionssysteme einzeln zu verkaufen und zu implementieren. Dadurch fehlen an den Schnittstellen Daten des jeweiligen Vor-Systems und die Daten werden noch dazu an den Schnittstellen von Menschen per Hand eingegeben. Dies ist Ressourcen-Verschwendung hochqualifizierter Personen. Hier bedarf es des Ansatzes integrierter Systeme oder intelligenter Vernetzung. Der nächste Evolutions-Schritt liegt sicher in der Kommunikation zwischen Produktions-Anlagen. Es gibt hier gute Ansätze wie z.B. das „connected cooking“. Die heute noch notwendige Überwachung von Produktionsprozessen kann reduziert und die Produktion kann zeitlich entzerrt werden. Dadurch können viele Ressourcen frei gespielt und kundennäher genutzt werden.
Wie beurteilen Sie die Wettbewerbssituation im Bereich Gemeinschaftsverpflegung – Stichwort Verdrängungswettbewerb? Welche Chancen haben hier eigentlich noch neue Anbieter?
Die Wettbewerber am österreichischen Markt unterscheiden sich heute recht stark. Je nach Kundenwunsch – z.B. „bestes Produkt“, „günstigster Preis“, „höchste Sicherheit“, „höchster Standard“, „hohe Individualisierung“, „auf viele Kundenwünsche eingehen“ – sind die Wettbewerber heute relativ stark differenziert. Einige internationale Player sind aufgrund der Marktgröße und relativ langfristiger Bindungen zwischen Kunden und Caterern gar nicht präsent. Nichtsdestotrotz gibt es immer wieder vielversprechende wachsende neue Anbieter. Dass mittags „nur für das leibliche Wohl der Mitarbeiter gesorgt wird“, tritt in den neuerlich „agilen“ Unternehmen in den Hintergrund. Gastronomische Unterstützung der informellen Interaktion der Mitarbeiter, sei es beim Frühstück, Mittagessen, im Kaffeehaus – Stichwort Snacks, To-Go- und Take away-Varianten -, ist neuerdings viel gefragter als noch vor fünf Jahren. Für Gemeinschafts-Gastronomen, die ihr Angebot und ihre internen Prozesse auf die Erfüllung dieser Wünsche ausrichten, sehe ich eine große Chance, auch wenn es sich – zumindest bei den großen Kunden – zum Teil um einen Verdrängungswettbewerb handeln wird. Dies ist aber keiner, bei dem der günstigste Preis zählt, sondern das beste Verständnis der Kundenwünsche und die beste Umsetzung. Anbieter, die vor- und nachgelagerte Prozesse mit Augenmaß vernetzt digitalisieren, und dafür am Gast gastronomisch und menschlich gut sind, werden hier sogar profitabel wachsen können. Aufgrund notwendiger Neuinvestitionen in Produktionsanlagen, Front-Cooking mit Abluft, Kaffeehäuser-Varianten etc. werden meiner Meinung nach nur langfristig angelegte, faire Partnerschaften in Frage kommen.