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„Wir sind keine Billiglohn-Branche!“

„Personalmangel: Was wäre zu tun?“ Diskussion mit Ursula Krepp, LIM OÖ / WKO Verwaltungsrat, Rolf Gleißner, WKO, und Ursula Woditschka, Gewerkschaft VIDA

Reinigung aktuell: Vor der Pandemie gab es schon den Fachkräftemangel. Aber jetzt gibt es auch den Mangel an Arbeitskräften in der Reinigungsbranche. Gibt es da Lösungen innerhalb der Branche? Frau Krepp…
Ursula Krepp, LIM OÖ / WKO Verwaltungsrat

Ursula Krepp: Grundsätzlich möchte ich dafür plädieren, dass wir aufhören, immer von prekären Arbeitsverhältnissen in der Gebäudereinigung zu sprechen. Das gefällt mir nicht, ich glaube vielmehr, dass wir stolz sein können auf unsere Branche. Wir können stolz sein darauf, dass wir Menschen oft einen erstmaligen Eintritt ins Arbeitsleben gewähren, dass wir sie schulen, dass sie uns als Sprungschanze nehmen für einen weiteren Aufstieg. Darauf können wir alle miteinander, alle Unternehmer stolz sein, grundsätzlich stolz sein, dass wir Unternehmer sind. Und auch Reinigungskräfte haben eine ganz wertvolle Arbeit. Ohne unsere Reinigungskräfte wäre die Republik ganz arm. Das sehen wir in allen Schulen, Krankenhäusern, Betriebsgebäuden usw., wir bieten Arbeitsplätze im Grunde ad libitum. Und ich merke auch an, dass wir ein größeres Problem haben, Ganztagsjobs zu besetzen, auch gute Stellen als Tageskräfte, dass aber Teilzeit gefragt ist. Warum das so ist, darauf komme ich später zurück. 

Reinigung aktuell: Das ist aber eines der Probleme. Es gibt in Österreich zu viel Teilzeit. Bei den  Beschäftigungsquoten quer durch Europa von den 55- bis 64-Jährigen sind wir im letzten Drittel. In Frankreich haben 55- bis 64-Jährige eine Beschäftigungsquote von 57%, und die haben ein früheres Pensionsalter. In Österreich sind es 63% und in Deutschland bei 75%. Das heißt, das Problem in dieser Branche ist, dass es zu viel Teilzeit gibt. Und immer diese Randdienste.

Ursula Krepp: Frankreich hat Ganztagsschulen. Deshalb ist, glaube ich, die Berufstätigkeit der Frau auch häufiger. Ganztagsjobs anzunehmen, ist in Frankreich eindeutig leichter als zum Beispiel in Österreich. Und Reinigungskräfte, sag ich mal, haben keine Interesse daran, einen Ganztagsjob anzunehmen, wenn sie den Hort für die Kinder noch bezahlen müssen. Das ist auch eine Einstiegshürde in den Job. Denn dann rechnet sich das schlicht und ergreifend nicht mehr. Das ist auch etwas, was wir von einer neuen Regierung fordern müssen. Kinderbetreuung muss gratis sein, damit wir die Berufstätigkeit der Eltern gewährleisten. Das ist wichtig. Wir reden immer über Altersarmut, wir reden über Frauenarmut. Das ärgert mich, weil Frauen ganz oft gehindert werden, ihrer Berufstätigkeit nachzugehen durch die Kinderbetreuung. Kinder sind wichtig. Das ist unsere Zukunft. Und dafür brauchen wir Geld.

Reinigung aktuell: Frau Woditschka, wir diskutieren das Thema Tagreinigung schon seit vielen Jahren. An sich tut sich da kaum etwas, aber die Arbeitsstunden pro Jahr würden dadurch letztlich steigen.
Ursula Woditschka, Gewerkschaft VIDA

Ursula Woditschka: Ja, das Thema Tagesreinigung verfolgen wir bald schon seit zwei Jahrzehnten. Und es bewegt sich kaum etwas. Und ich glaube, viele Themen, die heute auch schon angesprochen wurden, sehe ich oft gar nicht bei Ihren Unternehmen, sondern bei den Auftraggebern. Die haben noch immer das alte Bild im Kopf, dass Reinigung irgendwo an den Tagesrandzeiten passiert, mit Reinigung möchte man nichts zu tun haben. Und diese Problematik hat sich noch verstärkt, nachdem Reinigungskräfte immer weniger deutschsprachig sind, fürchten sich auch viele davor, an den Tageshauptzeiten zu arbeiten, weil sie gar nicht in Kontakt mit einem Kunden kommen wollen, weil sie den nicht verstehen, weil sie nicht kommunizieren können. Man hat im Zuge der Pandemie sehr stark gesehen, wie sehr man diese Mitarbeiter wertschätzt und wie sinnhaft die Arbeit ist, aber die Rahmenbedingungen passen nicht entsprechend, angefangen bei den Gratiskindergärten, bei Arbeitszeiten, wo ich mir mein Leben auch finanzieren kann. Auch vom öffentlichen Verkehr her, gerade im ländlichen Bereich kann ich nicht schon um 6:00 in der Früh irgendwo vor Ort sein. Und wenn ich später anfange, fehlt mir diese Stunde im Jahres- bzw. im Wocheneinkommen. Genauso beim Zurückfahren: Wenn am Abend nichts mehr fährt, kann ich dort nicht arbeiten. Und diese Zeit fehlt. Also es fehlt an Rahmenbedingungen, an Infrastruktur, damit diese geringe Teilzeit – und die liegt so bei 20 – 25 Stunden in der Branche – deutlich erhöht wird. Mit 30 und 35 Stunden, haben wir die Einschätzung, müssten die Leute zwar sparsam leben, aber das wäre möglich.

Aber aktuell werden auf der AMS Jobbörse hauptsächlich Teilzeitbeschäftigte mit einem Stundenausmaß von 10 bis 20 Stunden gesucht, 6-Tage-Woche, je zwei Stunden, 5-Tage-Woche, je drei Stunden. Davon kann man sich das Leben nicht finanzieren. Diese Dinge muss einerseits die Politik ändern bzw. die Rahmenbedingungen, andererseits die Branche selber, indem auf die Auftraggeber etwas mehr Druck gemacht wird bzw. ihnen auch erklärt wird, dass Reinigung untertags funktioniert. Es gibt sehr erfolgreiche Projekte, wo untertags gereinigt wird, wo die MitarbeiterInnen ihrer Firma sich auch dementsprechend anerkannt fühlen und gerne arbeiten.

Reinigung aktuell: Aber was können wir jetzt tun, um die Problematik am Arbeitsmarkt für uns  besser zu machen? Gibt es dazu Ideen?
Rolf Gleißner, WKO

Rolf Gleißner: Die Ausgangsposition ist, dass wir am Arbeitsmarkt voller Widersprüche sind. Wir haben auf der einen Seite ein schrumpfendes BIP, trotzdem steigt die Beschäftigung, die Arbeitslosigkeit steigt, trotzdem haben wir Arbeitskräftemangel, die Arbeitskosten sind erheblich gestiegen, auch die Kaufkraft, trotzdem tut sich beim Konsum und bei der Konjunktur nichts. Also erhebliche Widersprüche. Und dahinter stecken ganz konkrete Probleme am Arbeitsmarkt, die eine kommende Regierung und wir auch angehen müssen. Ein großes Problem ist, dass es in den letzten Jahren kaum Wirtschaftswachstum gab, in den letzten zwei Jahren gab es eine Rezession, gleichzeitig sind die Arbeitskosten massiv gestiegen. Warum? Wir hatten eine etwas höhere Inflation als die anderen EU Staaten, und wir haben in Österreich eigentlich eine Indexierung bei sehr vielen Werten, indem wir als Wirtschaftskammer für alle Arbeitnehmer Löhne verhandeln und in der Regel die Inflation abgegolten wird. Und das gilt eigentlich nur in Österreich, hatten wir hier doch einen kräftigeren Lohnkostenanstieg als in den anderen Ländern. Detto werden Pensionen, Mieten usw indexiert.

Nun könnte man sagen, gut, wenn die Arbeitskosten steigen, ist es kein Problem, wenn gleichzeitig die Produktivität mit steigt. Aber wenn man sich die Zahlen anschaut – ich spreche jetzt von der gesamten Volkswirtschaft – , ist die Produktivität in den letzten Jahren auch nicht gestiegen. Und schwacher Produktivitätsanstieg oder Stagnation, steigende Arbeitskosten – das bedeutet wiederum, dass Österreich an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Das ist einmal ein Grundproblem, dem alle Branchen gegenüberstehen und das die neue Regierung auch angehen muss. Die Beschäftigung ist aber noch sehr stabil am Arbeitsmarkt, also das ist noch ein positiver Bereich in diesem ganzen Szenario.

Aber wenn man sich genauer anschaut, wo die Beschäftigtenzahlen gestiegen sind und wo nicht: In den letzten fünf Jahren waren von 150.000, die wir Zuwachs hatten, 90.000 im öffentlichen Bereich, nur 60.000 im Bereich der Privatwirtschaft. Und im letzten Jahr war es überhaupt so, dass der öffentliche Bereich in der Beschäftigung noch einmal zugelegt hat. Und im selben Ausmaß ist die Beschäftigung in der Industrie zurückgegangen. Also eine etwas problematische Entwicklung, dass wir mehr Jobs im öffentlichen Bereich – Verwaltung, Erziehungswesen, Gesundheit – haben und weniger in der Privatwirtschaft. Weil am Ende des Tages kann eine Volkswirtschaft nicht davon leben, dass wir alle einander pflegen. Das geht für eine moderne Volkswirtschaft nicht. Da braucht man Industrie, Tourismus, Reinigung, was das Ganze trägt. Wir haben außerdem gehört, wenn die Wirtschaft rückläufig ist und die Beschäftigung steigt, kann es eigentlich kein Problem mit dem Arbeitskräftemangel geben. Ein Grund, warum es diesen trotzdem gibt, ist eben die Arbeitszeit. Das Arbeitsvolumen, das wir heute leisten, ist immer noch geringer als im Jahr 2019, obwohl wir inzwischen wesentlich mehr sind. Warum? Weil eben die durchschnittliche Arbeitszeit gesunken ist.

Jetzt könnte man sagen, okay, Rezession und Arbeitskräftemangel, das entschärft sich. Aber wie schaut es langfristig aus? Ich vergleiche das immer ein bisschen mit Wetter und Klima. Die Rezession ist das Wetter und die Demografie ist das Klima. Kurzfristig haben wir vielleicht eine gewisse Entspannung am Arbeitsmarkt, aber langfristig schlägt die Demografie stark zu. 50 Jahre viel zu wenige Kinder, das bedeutet, Jahr für Jahr verlassen trotzdem sehr viel mehr Menschen den Arbeitsmarkt, als ihn betreten. Ein bisschen kompensiert wird das durch das Frauenpensionsalter, das wir jetzt anheben. Aber längerfristig haben wir auch aufgrund der längerfristigen Arbeitszeitentwicklung trotzdem definitiv eine Verschärfung am Arbeitsmarkt, also eine größere Arbeitskräfteknappheit. Und dieses Problem muss man ganz breitflächig angehen. Wir haben schon einiges besprochen, was man hier tun muss. Wir haben sehr viele Förderungen von Teilzeit im System, im Steuerrecht, im Bereich der Sozialleistungen, wo du, wenn du eine bestimmte Einkommensschwelle überschreitest, Sozialtransfers verlierst, wo die Geringfügigkeit sehr attraktiv ist, weil ich nebenher Arbeitslosengeld kassieren kann, wo es einen Anspruch auf Elternteilzeit gibt, wo es hochsubventionierte Altersteilzeit gibt. Also überall fördern wir eigentlich Teilzeit und wundern uns dann, dass wir in der EU das Land mit der zweithöchsten Teilzeitrate sind. Jede zweite Frau, insgesamt jeder dritte, arbeitet bei uns Teilzeit. Da werden wir nur von den Holländern übertroffen. Man müsste alle diese Bereiche einmal durchleuchten. Da sind natürlich viele Tabuthemen dabei. Vielfach kommt es schlicht und einfach Frauen zugute, letztlich auch Ihren ArbeitnehmerInnen, weil zum Beispiel die Befreiung vom Arbeitslosenversicherungsbeitrag alle Menschen bis in etwa 2.200  € brutto entlastet. Das sind fast alle Teilzeitbeschäftigten. Die haben dann vielfach keinen Anreiz, die Arbeitszeit aufzustocken, weil klarerweise schlägt dann die Progression, Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Verlust von Transfers voll zu. Diese Dinge muss man beleuchten und das wird die Aufgabe der Regierung sein. Letzter Punkt – es wurde erwähnt: Die Erwerbsquote, vor allem bei Älteren, ist in Österreich niedriger als im Rest Europas, schlicht und einfach, weil wir immer noch sehr niedrige Pensionsaltersgrenzen haben. Auch Männer gehen im Schnitt mit 62 in Pension, Frauen mit 60. Weil es niedrigere Möglichkeiten gibt – Korridor-Pension, Schwerarbeitspension, Invaliditätspension –, in Pension zu gehen. Das ist der Grund, warum die Erwerbsquote bei Älteren bei uns sehr niedrig ist im Vergleich zu allen Ländern. Auch da muss man in Zukunft ansetzen.

Reinigung aktuell: Das entsprechend heiße Thema ist, die Geringfügigkeitsgrenze abzuschaffen. Wird dieses Thema wieder aufgegriffen? Welchen Wirtschaftsminister würden wir uns da wünschen? 

Ursula Krepp: Wir brauchen das unbedingt. Wenn man die Sozialversicherung beleuchtet – wie sollen wir unsere Sozialstandards in Zukunft aufrechterhalten, wenn immer weniger Menschen einzahlen? Wir dürfen auch nicht vergessen, die, die Teilzeit arbeiten, zahlen ja auch viel weniger ein, erhalten aber die gleiche Leistung, und das wird sich nicht mehr ausgehen. Und wir haben ein ganz wichtiges Wort von Johannes Kopf gehört: Flexibilisierung. Das ist auch das, was der Arbeitsmarkt verlangt. Das verlangen vor allem auch unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, um z.B. sagen zu können: „Ich habe eine Kinderbetreuung in der Woche X, da könnte ich mehr arbeiten. Die Schwiegermutter kommt in der übernächsten Woche aber nicht, da kann ich keine Vertretung übernehmen und tue das auch nicht.“ Jetzt haben wir aber ein paar Regelungen, die es uns sehr schwer machen, unsere Mitarbeiter flexibel zu beschäftigen. Wir sollten Frauen ernst nehmen, dass sie durchaus selbst entscheiden können, ob sie  mehr arbeiten oder nicht. Da braucht es, ich sage es mal ganz kess, keine Bevormundung, Die können das schon.

Und wir reden auch ganz oft über die Mütter und die alleinerziehenden Mütter. Aber das sind ja nicht alle unsere Mitarbeiterinnen. Wir haben sehr viele Mitarbeiterinnen ohne Betreuungspflicht. Die sagen aber ganz klar – und da hat sich die Kultur seit Corona ganz deutlich geändert: „Ich will nicht 40 Stunden arbeiten und dann noch Haushalt machen. Das ist mir zu viel. Da komme ich auf 60 Stunden. Ich arbeite nur Teilzeit.“ Da können wir uns alle anstrengen, wie wir wollen, die werden nicht Vollzeit arbeiten. Wir werden Teilzeit teurer machen müssen. Das ist die einzige Conclusio, die es für mich gibt. Es kann nicht sein, dass wir die Teilzeitstunden immer höher entlohnen. Das müssen wir ändern.

Reinigung aktuell: Was können Betriebe selbst tun? 

Ursula Krepp: Ich glaube, wir Unternehmer könnten sagen, wir nehmen gar keine Aufträge an, in irgendeinem Supermarkt anderthalb Stunden die Fleischerei zu reinigen. Das tun wir einfach nicht. Dann brauche ich auch keine geringfügigen Mitarbeiter von 6:00 bis 7:30. Also ich tue das nicht. Das interessiert mich nicht, da schulen wir nur ein. Das sind die teuersten Stunden. Verkaufen wir sie doch einfach nicht! Ich glaube, da braucht es auch ein bisserl Haltung von uns, wir müssen dem Kunden auch sagen, unter vier Stunden am Vormittag verkaufe ich dir gar nichts. Dann können die halt Stiegenhäuser reinigen. Es ist egal, aber die Mitarbeiter brauchen eine zusammenhängende Beschäftigung.

Reinigung aktuell: Wäre nicht eine der Lösungen, dass wir in einer Branche, wo die Billiglohnkräfte beschäftigt sind, den Ersatz in den Hintergrund schieben und schauen, wie wir unsere Leute besser halten können?

Ursula Krepp: Wir haben keinen Billiglohn. Wir haben 2.000  € für Mitarbeiter ohne Lehrabschluss. Da sind viele andere Branchen noch nicht so weit. Darum wäre es mir schon ganz wichtig, dass wir hier unter uns nicht von Billiglohnbranche reden. Das sind wir nämlich nicht. Und wir haben sehr viele Mitarbeiter und immer mehr, die Analphabeten sind. Das meine ich nicht abwertend. Wer aber in seiner Heimatsprache nicht lesen und nicht schreiben kann, lernt auch unsere Sprache nur ganz schwer oder gar nicht. Und da sind wir erste Anlaufstelle und lassen uns das auch viel kosten, als Dienstgeber, als Bundesinnung. Wir unterstützen unsere Betriebe mit unseren Lern-SprachApps. Wir tun ganz viel für unsere Mitarbeiter, für unsere Betriebe. Und ja, wir können die Welt alleine nicht ändern. Wir sind flexibel, und schauen wir, dass wir alle miteinander das flexibel hinkriegen.

Reinigung aktuell: Was würden Sie sich von der nächsten Regierung in Sachen Arbeitskräfte wünschen?

Rolf Gleißner: Da gibt es eine sehr lange Liste, weil man da in sehr vielen Bereichen aktiv werden kann. Wenn man beim Arbeitsmarkt anfängt, ist ja die Frage: Wie schnell schaffen wir es, die Menschen, die nach Österreich geflohen sind, auch die Vertriebenen, zu integrieren? Da ist das AMS eh Vorreiter. Das Problem ist, dass es Länderzuständigkeiten gibt. Die sind für die Sozialhilfe für das Asylwesen zuständig, der ÖIF für die Sprachkurse. Hier gibt es vor allem Schnittstellenprobleme. Uns wäre es wichtig, dass man hier eine schnelle Integration schafft, indem man zum Beispiel von vornherein Arbeit mit Spracherwerb kombiniert. Ich glaube, da wäre diese Branche prädestiniert dafür. Weil wenn du nicht arbeitest, lernst du nicht Deutsch. Und wenn du Deutsch nicht ordentlich lernst, kriegst du auch keine ordentliche Arbeit. Also warum nicht gleich von vornherein das kombinieren?

Aber wie gesagt, es ist nicht ganz einfach, weil auch Länder dafür zuständig sind. Hier muss man definitiv auch beim Thema Grundversorgung / Sozialhilfe ansetzen. Warum soll eine Ukrainerin, eine Professorin, als Kellnerin arbeiten, wenn sie gleichzeitig auch noch die Wohnung verlassen muss und ihre Grundversorgung verliert? Das ist dann wirklich kein Arbeitsanreiz mehr. Das zum Thema Integration.

Das Thema Zuwanderung ist aus unserer Sicht schon relativ gut gelöst. Hier gab es eine Novelle der Rot-weiß-Rot-Karte, aber hier könnte man wesentlich mehr tun. Deutschland zum Beispiel hat den freien Arbeitsmarktzugang für Menschen aus dem Westbalkan geschaffen, die ja ohnehin irgendwann EU-Bürger werden. Serbien, Bosnien usw., das würden wir uns auch wünschen. Das wäre, glaube ich, auch eine Hilfe für diese Branche.

Und dann – Lohnnebenkosten senken, eh klar. Das betrifft die gesamte Wirtschaft. Das wünschen wir uns jetzt umso mehr, als die Arbeitskosten bei uns wesentlich stärker gestiegen sind als in den anderen EU Ländern.

Kinderbetreuung ausbauen – ja, klar, das fordern alle. Und das kostet viel. Aber da ist es auch aufgrund des Drucks der Wirtschaftskammer doch gelungen, dass massive Mittel in diesen Bereich fließen.

Länger arbeiten, haben wir gesagt. Längerfristig wird es nicht damit getan sein, nur das Frauenpensionsalter an jenes der Männer anzugleichen. Das faktische Pensionsantrittsalter muss steigen. Warum ist das so niedrig? Weil es gesetzliche Grenzen gibt, die, wie ich schon sagte, es ermöglichen, weit früher als mit 65 schon in Pension zu gehen.

Ein Thema, das Sie wahrscheinlich alle sehr beschäftigt, ist das der Krankenstände, was auch zu Kosten und zu einer Verknappung von Arbeitskräften führt. Seit COVID haben wir erhöhte Krankenstände. Um 20 bis 30 % sind die nach oben geschossen und sie sind immer noch auf sehr hohem Niveau. Also das ist eine Baustelle, die man angehen muss. Ist nicht ganz leicht, hängt auch mit den Ärzten usw. zusammen. Da muss man wahrscheinlich auch innerhalb der Betriebe sich näher mit den Menschen beschäftigen, die öfter krank sind. Dies, um nur ein paar Punkte zu nennen.

Ursula Woditschka: Ja, es gibt viel zu wünschen, natürlich flächendeckend die kostenlose Kinderbetreuung, dass Frauen überhaupt die Möglichkeit bekommen, Vollzeit arbeiten zu gehen. Ausbau des öffentlichen Verkehrs, da hinken wir eindeutig hinten nach. Auch das ist wichtig, um Arbeitsplätze zu erreichen. Gerade in so einem Gewerbe, wo man sehr flexibel unterschiedlichste Standorte innerhalb eines Tages erreichen muss, muss das schnell gehen. Und da hilft es nichts, wenn in der Früh ein Schulbus geht und zu Mittag ein Schulbus und einer am Nachmittag. Da wird man eine Arbeitsstätte auf dem Land kaum erreichen. Und eigentlich sollten sich wirklich alle Beteiligten auch innerhalb einer Branche dementsprechend offen zusammensetzen. Weil die Probleme, so wie wir schon festgestellt haben, die besprechen wir schon 20 Jahre und länger, und es hat sich nur verschärft. Wir wüssten Lösungen, aber wir setzen sie nicht um. Wir sollten mal tabuloser denken und dann wirklich in die Umsetzung kommen. Das ist, glaube ich, das Entscheidende. Ich gebe Frau Krepp ja nicht unrecht, dass wir mit dem Lohneinkommen in der unteren Mitte liegen, das Problem ist halt die Stundenanzahl, die dahinterliegt. Weil ich erreiche kaum als Frau 2.000 € brutto, sondern deutlich weniger, bei 20 Stunden sind es eben nur 1000 Euro brutto, und damit kann man nicht überleben. Das ist das Problem. Und es gehört eben darauf hingearbeitet, dass eben mehr in Richtung Vollzeit geht. 

Es gibt auch Frauen, die haben drei Teilzeitjobs, um leben zu können. Und wenn dann ein erster, ein zweiter Job wegbricht und dann vielleicht nur mehr die Geringfügigkeit übrig ist, verstehe ich, warum es dann neben der Arbeitslosigkeit auch noch die geringfügige Beschäftigung gibt. 

Die soziale Hängematte mag es da und dort geben, aber man darf nicht alle über einen Kamm scheren, damit habe ich ein Problem.

Reinigung aktuell: Ihre fünf Wünsche?

Ursula Krepp: Die Abschaffung der Geringfügigkeit bei Arbeitslosengeldbezug. Das finde ich ganz, ganz wichtig. Wir haben mal ausgerechnet, es gibt 40.000 arbeitslose Personen, wenn die Hälfte davon nicht mehr geringfügig arbeiten, wenn die Hälfte davon nur einen Job annehmen oder ei Drittel, sähe der Arbeitsmarkt auch schon wesentlich besser aus. Das würde ich ändern. Wir müssen schon schauen, das Schlagwort Flexibilität tatsächlich zu leben. Weil das tun wir nicht. Wir haben keine Durchrechnung für viele Dinge, die ausreichend lang sind. Darum können wir immer wieder Mitarbeiter nicht das ganze Jahr durchbeschäftigen, obwohl wir es wollten. Da brauchen wir Flexibilität als gute Arbeitgeber und auch für die Mitarbeiter. Weil durch die Zeiten, wo sie arbeitslos sind, sinkt auch ihr Rentenanspruch etwas. Also ich denke, hier müssen wir mitdenken. Und das Problem sind auch die Sozialtransfers. Wenn wir Situationen haben wie jetzt in diesem Jahr – die Löhne sind um 9 % gestiegen: da kommt ein Sonderreiniger zu uns und sagt, er müsse jetzt einen Tag weniger arbeiten, er wolle eine Vier-Tage-Woche, er verdiene zu viel, weil er sonst die Wohnbeihilfe verliere. Das sind die Probleme. Wir sind ein so reiches Land, und trotzdem muss jeder lernen, dass es nur mit Arbeiten geht. Mit einem Halbtagsjob kann man nicht sein Leben bestreiten. Dann würden die Vollzeitmitarbeiter sich ja wirklich überflüssig fühlen. Jemand, der von einem Halbtagsjob nicht leben kann, wird ihn auch nicht annehmen. Da wird er etwas anderes machen. Er wird Lagerarbeiter oder sonst was machen, aber er wird nicht bei uns bleiben. Und ich weiß, dass viele Mütter zu Hause sein wollen, wenn ihr Kind aus der Schule kommt, um zwölf, das nächste kommt um Viertel vor eins und das andere um zwei. Da wollen sie kochen, da wollen sie Hausaufgaben machen, und dann gehen sie zur Arbeit. Und für viele Frauen reichen die drei und vier Stunden, weil sie einen Mitverdiener haben. Und das ist auch Lebenswirklichkeit, die wir nicht verurteilen dürfen.

Rolf Gleißner: Ganz entscheidend ist, dass wir auch unser Sozialsystem stärker mit Arbeitsanreizen ausstatten. Wir haben vorher gehört, es gibt auch die Konkurrenz zwischen Sozialleistungen und bestimmten Branchen auch bei Ihnen. Ich glaube, da muss man einfach sehr viel machen. „Make Work Pay“ ist ein Schlagwort, das sich die künftige Regierung auf die Fahnen schreiben muss. Noch einen kleinen Punkt: Ich möchte niemandem ausrichten, wie er seinen Betrieb zu führen hat, aber vielleicht einen kleinen Hinweis auf unseren kleinen Leitfaden „Mitarbeiterbindung“, da stehen nützliche Dinge drin, wie man als Unternehmen auch einiges tun, um Mitarbeiter an sich zu binden. Denn das ist leichter, als neue Mitarbeiter zu gewinnen, insbesondere in der Zukunft.

Reinigung aktuell: Behandelt die Branche ihre Mitarbeiter gut genug?

Ursula Krepp: Wie geben uns große Mühe, unsere Mitarbeiter gesund und auch gut ausgebildet zu beschäftigen. Das zeichnet, glaube ich, die Branche aus. Und ich weiß auch bei den Ehrungen in der Wirtschaftskammer, auch in der Gebäudereinigung, gehen ganz viele Menschen in Rente. Auch das schaffen wir als Dienstgeber. Also können wir gar nicht so schlecht sein wie unser Ruf.

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